Was die Generation Y so besonders macht: „Sie wird gebraucht“

Mit einer großen Teilnehmerzahl hatte die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL) zu ihrem ersten Zukunftskongress am 20. September 2014 in Münster gerechnet, aber mit ca. 180 Teilnehmern war der Kongress binnen kürzester sogar Zeit komplett ausverkauft. Unter dem Motto „Praxis 2020 – Unser Beruf im Wandel“ richtete sich der Zukunftskongress vor allem an junge Zahnärztinnen und Zahnärzte und behandelte Themen wie Onlinemedizin, künftige Versorgungsformen und Veränderungen für die Zahnarztpraxis.

Volles Haus beim Zukunftskongress (Foto: Dr. Wolfgang Hilgert)

Volles Haus beim Zukunftskongress (Foto: Dr. Wolfgang Hilgert)

Im Grußwort stellte Dr. Klaus Bartling, Kammerpräsident der Zahnärzte in Westfalen-Lippe, klar, dass es trotz der Feminisierung des zahnärztlichen Berufs künftig nicht nur um die spezielle Problematik von Zahnärztinnen gehen werde. „Denn grundsätzlich stehen alle Berufsanfänger im Fokus des Interesses“ – mit dem Ziel, eine optimale zahnmedizinische Versorgung zu erhalten, aber auch mit den Zielen der berufspolitischen Interessensvertretung, dem Erhalt der Freiberuflichkeit und der Sicherung der Selbstverwaltung. Auch wenn Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens sich per Video-Botschaft angesichts der demographischen Entwicklung eher Lösungsansätze für die aufsuchende Betreuung in der Zahnheilkunde erhoffte und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Visier hatte.

Die Kernfrage stellte Dr. Art Timmermeister, Zahnarzt und Vertreter für den Bundesverband der zahnmedizinischen Alumni in Deutschland e.V., in seinem Vortrag: „Generation Y und Freiberuflichkeit: Geht das?“. Zunächst scheint die Generation Y, geboren zwischen 1977 und 1998, heute 26 bis 37 Jahre alt, geprägt durch Internet und soziale Medien im technischen Sinne absolut kompatibel mit der (Zahn-)Medizin der Zukunft zu sein. Dr. Markus Müschenich hatte in seinem Vortrag „Zukunft der Medizin“ bereits ausführlich über Internetmedizin, Telemetrik, Mobile-Home-Monitoring und aktuelle Apps – in den USA empfiehlt ein Drittel der Ärzte seinen Patienten (z.B. mit Diabetes) Apps zur medizinischen Unterstützung – berichtet. Timmermeister geht davon aus, dass sich die Generation Y als durchgängig online und so mit ständigem Zugang zum Fachwissen eventuell damit abfindet, dass die Aussage „Ich bin Arzt, weil ich so viel weiß“ obsolet erscheint. Denn spätestens seit der Entwicklung des IBM Watson, des lernenden Computers, der in drei Sekunden den Abgleich von 200 Millionen Seiten Fachliteratur schafft und in Rekordzeit zu einer Diagnose kommt, scheint das (Selbst-)Studium mühsam, so der Referent.

Als absolut trendy bezeichnete Dr. Ralf Belusa, in „Hallo Doctor – Onlinearzt oder Hokuspokus?“ ebenfalls über Onlinemedizin referierend, die Wearables und Apps, die Daten über Schlaf, Coffein-Konsum, Blutdruck, Puls oder Laufstrecke sammeln und somit die Einspeisung und Auswertung großer Datenzahlen ermöglichen. Diese „Devices“, so Belusa, führen zu dem Schlüsselsatz „Sensors will judge – if you are a desireable patient“. „Die 1.000-Firmen-Marke ist überschritten, Internetmedizin ist keine Notlösung und nicht aus Gründen der Kostendämpfung entstanden, sie gilt heute schon als ‚richtige‘ Medizin.“ In der Augenheilkunde liege mit Caterna, einer Software, die kleinen Patienten zuhause eine spielerische Anwendung ermöglicht, die erste medizinische therapeutische App via Internet (MPG-zertifiziert) vor. Die Barmer/GEK akzeptiere bereits diese erste App auf Rezept.

Im technischen Sinne ist die Generation Y also gerüstet für die Zukunft. Doch wie sieht die Lebensplanung der Newcomer aus? Bei der Wahl des Arbeitsorts motiviert sie weniger der Verdienst, entscheidender sind hier die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Work-Life-Balance heißt die Devise. Das deckt sich mit den Zahlen, die Dr. Bernhard Reilmann, Vorstandsvorsitzender der KZVWL Münster, in seinem Vortrag „Vertragszahnärztliche Versorgung der Zukunft im Fokus von Zahnarzt und Patient“ vorstellte: Bevorzugte Niederlassungsorte seien weiterhin Großstädte wie Bielefeld, Bochum, Dortmund und Münster. Dennoch widersprächen sich Ökonomie und Praxiskonzept: Der Eintritt in eine Berufsausübungsgemeinschaft gelte als „günstigste“ Niederlassungsvariante, die Einzelpraxis sei jedoch weiterhin die bevorzugte. „Angesichts der Zukunft sieht sich die KZVWL als Partner, der Hilfestellung bei betriebswirtschaftlichen Belangen, Abrechnung, Zulassung sowie bei EDV, Time-Sharing und Notdienstregelung bietet“, sagte Reilmann. Auch wenn die Generation Y die KZV eher als eine Behörde wahrnehme und nicht wirklich zwischen ZÄK und KZV zu unterscheiden wisse. Dass dieser Support aber trotzdem nicht zu unterschätzen sei, zeige eine Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2013: „89 Prozent der Befragten sind froh, dass es die KZV gibt.“ Reilmann betonte, dass trotz allen Regelwerks die freie, eigenverantwortliche Berufsausübung im Vordergrund steht.

Technisch und „behördlich“ ist also in puncto Generation Y alles geregelt. Der bestehende Generationenkonflikt, erklärte Timmermeister, sei klassisch. Aber er erklärte auch, was die Generation Y so besonders macht: „Sie wird gebraucht.“

Wohl wahr – erst recht wurde dies im Vortrag von Dr. Thomas Drabinski vom Institut für Mikrodaten-Analyse Kiel klar, der die zahnmedizinische Perspektive aus gesundheitsökonomischer Sicht beleuchtete. Knallharte Fakten erwarten uns: Die Finanzierung des Gesundheitssystems im Umlageverfahren funktioniert derzeit noch, ist aber laut Drabinski kurz-, mittel- und langfristig nicht sichergestellt. Der demographische Prozess werde nur über die Versorgungsseite begleitet, erläuterte der Referent, der nach Lösungsansätzen von gesundheitspolitischer Seite gesucht, diese aber nicht so recht gefunden hat. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD enthalte inhaltlich keine Antworten, lediglich ein „Demographie-Check“ finde Erwähnung. Drabinski: „Vergütungssysteme werden entsprechend angepasst.“

Was auch für Zahnmediziner die Konsequenz, für das gleiche Geld mehr zu arbeiten, mit sich bringen kann. Das Qualitätsinstitut für ambulante und stationäre Behandlung, das zum 1. Januar 2015 eingeführt werde, behandle im Kern die Wahlfreiheit der Patienten, Freiberuflichkeit und Selbstständigkeit, den Sicherstellungsauftrag, Eigentumsrechte sowie die Umsetzung von Überwachungs-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Das Versorgungsstärkungsgesetz zielt laut Drabinski noch deutlicher in Richtung „Staatsmedizin“, geplante Inhalte sind: die Einführung von Terminservicestellen in der fachärztlichen Versorgung mit Umsetzungspflicht für die KVen, eine Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante (auch zahnmedizinische?) Versorgung, Ankauf von Vertragssitzen durch die KVen (auch durch die KZVen?), eine neue Stadt-Land-Bedarfsplanung sowie die Stärkung Medizinischer Versorgungszentren (derzeit in Westfalen-Lippe verboten). Das erwartet also die zukünftige Standesvertretung und berufspolitisch interessierte Zahnärztinnen und Zahnärzte. Das war zwar kein Neuland, aber so deutliche Zahlen drückten dann den meisten Teilnehmern doch aufs Gemüt.

Dr. Martina Lösser, Vorstandsmitglied der ZÄKWL und Leiterin der Akademie für Fortbildung, erläuterte schließlich in ihrem Referat „Kompetenzentwicklung und -erhalt durch gezielte Fortbildung für jüngere Zahnärzte und Zahnärztinnen“, welch wichtige Hilfestellung die Fortbildung in der Ausübung des zahnärztlichen Berufs ist. Im Gedankenspiel ließ sie eine Kollegin, genannt A. Lumni, 26 Jahre alt, berufsfertig nach Studium, Approbation und Promotion, bei einem Kollegen, genannt R. Fahren, den Start ins Berufsleben wagen. Die junge Kollegin erwarten täglich Herausforderungen: Sie muss lernen, ständig subjektive Angaben von Patienten zu objektivieren, und R. Fahren erwartet von ihr, dass sie sich trotz geringer Berufserfahrung Handlungskompetenz und Selbstsicherheit aneignet. Lösser: „Fortbildung dient nicht nur der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben, sondern hilft, die Freude am Beruf zu erhalten, zumal niemand nur Zahnarzt oder Zahnärztin ist“. Programme für Familie und Beruf, Work-Life-Balance und die sich ändernden Präferenzen im Berufsleben, die Übernahme und Abgabe von Praxen, all das biete die moderne Fortbildungslandschaft. Besonders der Zuschnitt des Fit-for-Future-Konzepts mit kurzen Sequenzen ohne ständige Präsenzpflicht sei auf Jüngere zugeschnitten. „Auch auf Samstage komprimierte Curricula mit dem Vorteil ohne Praxisausfall nur für einen Tag die Kinderbetreuung organisieren zu müssen, helfen die Balance zwischen Familie und Beruf zu erhalten“, so Lösser.

Fazit: Die Generation Y tritt angesichts der demographischen Entwicklung kein leichtes Erbe an. Hilfestellung der Körperschaften ist ausreichend vorhanden, sollte aber dringend durch eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit von deren Seite bekannt gemacht werden. Aber auch Handeln auf Seiten der „Youngster“ ist gefragt, die laut Timmermeister die Freiberuflichkeit immer noch als Goldstatus sehen, Sicherheit suchen, aber auch Meister des Improvisierens und flexibel in der Lebensplanung sind.

Der Zukunftskongress war eine echt lohnende Veranstaltung. Spannende Referate mit teils brisanten Informationen wurden in modernem Ambiente – Factory-Hotel Münster, vormals Germania-Brauerei – gehalten. Leider kam es im Anschluss an die jeweiligen Vorträge nicht zu Diskussionen, was aber auch den informativen Beiträgen geschuldet sein kann, die bei den Teilnehmern noch nachwirkten. Die Möglichkeiten neuer medizinischer Errungenschaften stimmten die Zuhörerschaft sehr nachdenklich. Aber auch die bereits angelaufene demographische Entwicklung ließ frohe Zukunftsstimmung nicht so recht aufkommen.

Aber trotz „unrosiger“ Zukunftsaussichten wird die Flinte nicht ins Korn geworfen, sondern wir müssen die Herausforderungen annehmen und für die Ideen der Newcomer offen sein – getreu dem Motto „Zukunft findet statt, wir sind dabei“.
Dr. Sabine Wagner, Dortmund

 

 

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