Von der Röntgenkugel zur dreidimensionalen Bildgebung in der Zahnheilkunde

Seit mehr als 100 Jahren werden in der medizinischen und zahnmedizinischen Diagnostik Röntgenstrahlen eingesetzt. Begonnen hatte das bildgebende Röntgen 1895 in Würzburg: Wilhelm Conrad Röntgen hatte beobachtet, dass die ionisierenden Strahlen aus einer Kathodenstrahlröhre eine Platte zum Aufleuchten brachte, die zuvor mit Bariumsulfat beschichtet worden war. Als er seine Hand zwischen Röhre und Platte brachte, waren seine Fingerknochen zu sehen (Abb. 1).

Abb. 1: 1895 – die Geburtstunde der Röntgendiagnostik. (Quelle: Siemens)

Abb. 1: 1895 – die Geburtstunde der Röntgendiagnostik. (Quelle: Siemens)

Die ersten Aufnahmen von Zähnen hat 1896 der Braunschweiger Zahnarzt Otto Walkhoff hergestellt. Das Foto brauchte 25 Minuten Röntgenstrahlung, die spätere Vollaufnahme von OK und UK des Physikers Wilhelm König erforderte nur noch sechs Minuten Röntgen-Exposition. Die Bissflügelaufnahme führte der Amerikaner H. R. Raper 1924 erstmalig durch. 1934 kam die legendär gewordene „Siemens-Kugel“ (Abb. 2) für die zahnärztliche Praxis auf den Markt. Schon frühzeitig wurde klar, dass eine vollständige Abbildung der Alveolarfortsätze sinnvoll ist, jedoch aufgrund der anatomischen Verhältnisse durch eine simple Projektion nicht möglich erschien. 1922 ließ der Deutsch-Amerikaner Alwin Zulauf eine Panoramatechnik patentieren. Der Film wurde hierbei intraoral positioniert, die Röntgenröhre extraoral um den Patienten herumgeführt. Zur Vermeidung von Doppelbelichtungen war eine vertikale, schlitzförmige Begrenzung des Strahlenbündels vorgesehen – der Vorläufer der heutigen Schlitzblende. Die erste praktische Umsetzung erfolgte 1933 durch den Japaner H. Numata. Ab 1948 entwickelte der Finne Yrjö Paatero einen Röntgen-Pantomograf, der mit der Panoramaschichtaufnahme (PSA) verzerrungsfreie Abbildungen von OK und UK ermöglichte. Für die Praxis wurde das Gerät 1965 verfügbar. 1971 beschrieb der Engländer Godfrey Hounsfield den ersten Computertomografen und erhielt dafür 1979 den Nobelpreis für Medizin. 
Ebenfalls in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde neben der Sonografie die Magnetresonanztomografie entwickelt – Technologien, die eine bildgebende Diagnostik ohne Röntgenstrahlen ermöglichten. 1987 brachte das französische Unternehmen Trophy einen Sensor auf den Markt, der digitale Intraoralaufnahmen ermöglichte.

Abb. 2: Die „Siemens Röntgenkugel“ zog ab 1934 in die Zahnarztpraxen ein. (Quelle: Siemens)

Abb. 2: Die „Siemens Röntgenkugel“ zog ab 1934 in die Zahnarztpraxen ein. (Quelle: Siemens)

Die digitale Volumentomografie für die Zahnheilkunde wurde erstmalig 1997 beschrieben. Diese Technik zeigt inzwischen das Potenzial, eine Tages die Panoramaschichtaufnahme als Basisdiagnostik in der Zahnarztpraxis zu ersetzen. 
Die digitale Radiographie basiert auf dem Prinzip, dass die Röntgenphotonen, anstatt einen Film zu schwärzen, hier mithilfe röntgenstrahlenemfindlicher, elektronischer Sensoren eine Leuchtschicht anregen und den Lichtimpuls an eine Photodiode (CCD, CMOS) zur Aufzeichnung des Strahlungsreliefs weiterleiten (indirektes Verfahren).

In der alternativen Direktdetektion findet keine Umwandlung der Röntgenphotonen in Lichtimpulse statt; die Photonen erzeugen im Halbleiter-Detektor durch das Anregen von Elektronen einen Stromfluss, dessen Stärke proportional zur Energie und Intensität der einfallenden Röntgenstrahlung ist. Eine Sonderform ist die Speicherfolienradiographie. Eine photostimulierbare Substanz (Bariumfluorhalid) speichert das Röntgenrelief. Das Auslesen erfolgt mit einem Laserscanner (Helium-Neon-Laser). 
Vorteil der digitalen Detektion ist der Wegfall von Dunkelkammer und Verbrauchsmaterialien für die Filmverarbeitung. Das Bild ist in Echtzeit verfügbar, die Bildarchivierung mit PC-Einsatz ist einfacher. Digitalaufnahmen können über ein Netzwerk transportiert werden.

Gegenüber der konventionellen Röntgentechnik ist die Dosisbelastung geringer. Deren Betrag hat sich jedoch zugunsten einer höheren Bildqualität in den vergangenen Jahren verringert. Bisher konnten mit konventionellen Intraoral-Aufnahmen auf Einzelzahnfilmen (Bissflügelaufnahmen, endodontische Aufnahmen) eine gute Detailabbildung mit zehn Linienpaaren pro Millimeter (Lp/mm) erzielt werden [18]. Hingegen ist die Auflösung von Panoramaschichtaufnahmen oft unzureichend (4 Lp/mm). Hier bieten Digitalverfahren ein verbessertes Auflösevermögen, das heißt, es können mehr Bildpunkte pro Quadratmillimeter abgebildet werden. Die Ortsauflösung von digitalen, intraoralen Röntgensystemen liegt derzeit bei 20 bis 40 Lp/mm.

Abb. 3: DVT-Datensatz zur Planung einer Implantation im Unterkiefer. (Quelle: Ritter)

Abb. 3: DVT-Datensatz zur Planung einer Implantation im Unterkiefer. (Quelle: Ritter)

Dreidimensionale Bildgebung
Bei Projektionsradiografien (konventionelle Zahnaufnahme) werden dreidimensionale Objekte auf eine zweidimensionale Ebene projiziert. Dadurch werden gewebetypische Eigenschaften (Dichte, Dicke) aufeinander summiert abgebildet. Dreidimensionale Verfahren liefern Informationen, die bei einer Summation verloren gehen; es gelangen auch andere Objektebenen zur Ansicht. In der Zahnmedizin kommen die Computertomografie (CT) und die digitale Volumentomografie (DVT) zum Einsatz. Mit dem CT ist es möglich, Rekonstruktions-Algorithmen einzusetzen, um zweidimensionale, überlagerungsfreie Schichtbilder zu erstellen. Hierbei rotieren Röhre und Detektor um das Untersuchungsobjekt. Ein eng begrenztes Strahlenbündel durchdringt den Patienten. Das generierte Absorptionsprofil kann aus allen Richtungen ausgelesen werden [8]. Die Gewebeinformation liegt in Form einer Graustufenverteilung vor. Mit dem Anwenden von Farbspektren kann eine farbige Visualisierung erzeugt werden [5]. 
Demgegenüber bietet die 1997 in die Zahnheilkunde eingeführte digitale Volumentomographie Vorteile für die röntgenologische Differenzialdiagnostik [2, 6]. Die DVT basiert auf zweidimensionalen Röntgenaufnahmen. Dabei wird aus einer Vielzahl von 2-D-Aufnahmen ein dreidimensionaler Bilddatensatz errechnet. Im Gegensatz zum CT wird das Volumen des aufzuzeichnenden Bereichs mit einem kegelförmigen Strahlenbündel (Cone Beam) erfasst. Der Kegelstrahl ermöglicht den Übergang von der Aufnahme einer oder mehrerer einzelner Schichten zur Darstellung eines bestimmten anatomischen Bereichs. So werden in einem Umlauf 200 Schnittbilder mit jeweils 15 Zentimetern Kantenlänge in 14 Sekunden gefertigt (Galileos, Sirona). Die Röntgenstrahlung wird nicht kontinuierlich appliziert, sondern in wenigen Millisekunden „gepulst“. Die Strahlungsdosis liegt zwischen 15 und 1000 Mikro-Sievert (µSv), je nach verwendetem System und Indikation, und ist geringer als beim CT [15, 11, 12, 13]. Die Anzahl der „Schüsse“ (200 bis 450) ergeben die gesamte Expositionszeit von wenigen Sekunden. Die Kegelstrahlgeometrie erlaubt es, mit einem zweidimensionalen Detektor durch eine 200-Grad-Drehung um das Objekt mithilfe von Bildrekonstruktionsalgorithmen einen „echten“ dreidimensionalen Volumendatensatz zu erzeugen. Auch Panoramadarstellungen und transversale Schnitte sind möglich. Die 3-D-Aufnahmetechnik ist im Vergleich zum Orthopantomogramm (OPG) deutlich präziser, weil sie ein geometrietreues, verzerrungsfreies Bild vermittelt [16]. Die Akquisition der Daten erfolgt über Bildverstärker oder Flachdetektoren. Bildverstärker benötigen weniger Dosis, da das Eingangssignal noch sekundär verstärkt wird. Allerdings ist bei höheren Auflösungen noch ein Rauschen zu beobachten. Aus dem Originalbildvolumen können Bilder in 2-D- und 3-D-Darstellung gewonnen werden.

Abb. 4: Markierung des Canalis mandibularis (oben). (Quelle: Ritter)

Abb. 4: Markierung des Canalis mandibularis (oben). (Quelle: Ritter)

3-D-Schnittbilder werden in den drei orthogonalen Hauptebenen (axial, saggital, koronal) abgebildet. Der hohe Kontrast zwischen Knochen und Zahnhartsubstanzen unterstützt die Bedingungen der zahnmedizinischen Diagnostik [22]. Weichgewebe zeigen eine geringere Differenzierbarkeit.

DVT in der Zahnarztpraxis
Die Indikationspalette für das DVT hat sich im Laufe der vergangenen Jahre deutlich erweitert. Bei komplexen chirurgischen Eingriffen hat sich die 3-D-Aufnahme durch die räumliche Zuordnung der Befunde auch in Beziehung zu den Nachbarstrukturen zur detailreichen Analyse des Operationssitus gegenüber 2-D-Aufnahmeverfahren in vielen Aspekten technisch überlegen gezeigt [3]. 
Nach wie vor sind Indikationen rund um die Implantologie dominierend [1, 22] (Abb. 3), zumal hier auch forensische Gründe für die Akquisition einer DVT-Aufnahme angeführt werden. Neben der Beurteilung des präoperativen Knochenlagers kann heute auch nach Insertion des Enossalpfeilers der periimplantäre Knochen überprüft werden. Das knöcherne Angebot sowie die relevante Anatomie kann metrisch exakt vermessen werden. Knochendefizite können detektiert, Augmentationen vorbereitet werden. Softwarebasiert können Position und Dimensionierung des Implantats simuliert und exakt vorausbestimmt werden. Besonders die klare, dreidimensionale Erfassung des Nervus alveolaris inferior bietet ein hohes Maß an Sicherheit bei der Vorbereitung der OP (Abb. 4). Diese Information kann um die prothetische Komponente ergänzt werden, indem der Patient während der Aufnahme ein radiopaques Wax-up trägt. Diese sogenannte Scan-Schablone, vom Zahntechniker aus Bariumsulfat hergestellt, bildet die geplante prothetische Lösung ab [9]. Ein Planungsprogramm konstruiert aus den Daten eine chirurgische Bohrschablone für die enossale Implantatinsertion [4, 10]. Die Kombination aus digitaler prothetischer und chirurgisch-implantologischer Planung ermöglicht es, die Daten der digitalisierten Intraoralabformung sowie die virtuell konstruierte, prothetische Suprastruktur mit der Implantatkrone im DVT-Röntgenbild deckungsgleich zu vereinen. Beide Datensätze werden auf dem Bildschirm visualiert [19]. Der Raum für Enossalpfeiler und Suprastruktur kann exakt vermessen, ihre Dimensionierung definiert und die Achsen anguliert werden [17]. Zur Vorbereitung der enossalen Insertion im DVT eine chirurgische Bohrschablone geplant und die Fertigungsabmessungen generiert werden [6, 14].
Das DVT hat sich nicht nur für diagnostische Fragestellungen in der MKG-Chirurgie und Traumatologie qualifiziert, sondern dem Zahnarzt ein breites Anwendungsspektrum erschlossen [7]. In der Endodontie werden apikale Veränderungen bei Vorliegen klinischer Auffälligkeiten sowie traumatologische Befunde an der Zahnwurzel erkennbar. In der zahnärztlichen Chirurgie können Frakturen an der Zahnwurzel, am Alveolarfortsatz, intraossäre pathologische Veränderungen wie odontogene Tumore, Speichelsteine oder periapikale knöcherne Läsionen aufgespürt und Wurzelresorptionen [21], zum Beispiel nach Zahntrauma, kontrolliert werden.

Lageanomalien von Zähnen können durch eine präoperative Schnittbilddiagnostik beurteilt werden. In der parodontologischen Diagnostik kann der 0,15-0,20 Millimeter breite Parodontalspalt sowie die interdentale Alveolarknochenstruktur geprüft und somit eventuell Knochenabbau beurteilt [23], ferner Läsionen im Furkationsbereich aufgespürt werden [20]. In der Funktionsdiagnostik und Funktionstherapie zeigt das DVT knöcherne Veränderungen im Kiefergelenk und kann erosive Veränderungen am Kondylus nachweisen. In der Kieferorthopädie können Anomalien des Zahnbestands, Dysplasien der Zahnwurzel, Zahndurchbruchstörungen differenzialdiagnostisch bewertet und craniofaziale Fehlbildungen detektiert werden. In den USA gilt das DVT seit 2003 als „Goldstandard“ der craniofazialen Bildgebung.

Fazit: 
Digitale bildgebende Verfahren werden in der Zahnheilkunde in Zukunft tonangebend sein. Der Wandel von der konventionellen, filmgebundenen zur digitalen Darstellung vollzieht sich langsam, aber stetig. Die Panoramaschichtaufnahme wird auf lange Sicht durch ein dreidimensionales Verfahren als bildgebende Basisdiagnostik abgelöst. Durch den breiteren Einsatz des DVT wird die Diagnostik beschleunigt, bietet differenzierte Ergebnisse und erhöht deutlich die Sicherheit bei chirurgischen Eingriffen.


Manfred Kern, Deutsche Gesellschaft für Computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ), Wiesbaden

Kontakt zum Autor: 
E-Mail: manfr.kern-dgcz@t-online.de

Die Literaturliste kann beim Autor oder der Redaktion unter leserservice@dzw.de angefordert werden.

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