Fehlende Fertigkeiten statt Mangel an Motivation – Zahnputz-Studie der Universität Gießen zeigt viele Defizite bei der Bass-Technik

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Erschreckend: Die meisten Deutschen reagieren ratlos, wenn sie gefragt werden, wie man die Zähne am besten reinigt. Foto: Heike / pixelio.de

70 Prozent der Deutschen putzen sich laut aktueller Studien zweimal pro Tag die Zähne. Kaum ein anderes Verhalten zum Wohle der Gesundheit wird von so vielen Menschen regelmäßig praktiziert. Umso erstaunlicher ist es, dass rund 90 Prozent von ihnen unter Erkrankungen leiden, die mit unzureichender Mundhygiene im Zusammenhang stehen. Dazu passt, dass die meisten Deutschen ratlos reagieren, wenn sie gefragt werden, wie man die Zähne am besten reinigt, so der aktuelle Forschungsstand.

„Wir sind durch unsere Forschung mittlerweile überzeugt, dass es den Patienten weniger an Motivation als an Fertigkeiten mangelt“, erklärt Prof. Dr. Renate Deinzer, Leiterin des Instituts für Medizinische Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Eine Technik muss für den Einzelnen gut nachvollziehbar und praktizierbar sein.“ Zwar würden in der Zahnmedizin die verschiedenen Putzmethoden systematisch beschrieben, doch eine Evidenzgrundlage, in welchem Maß diese gut erlern- und zu Hause anwendbar seien, existiere bisher nicht.

Zahnputz-Studie zåRund 60 Studierende verschiedener Fachrichtungen, ausgenommen Studenten der Zahn- oder Humanmedizin, mussten per Handzahnbürste Zähneputzen. Foto: Andrea Kusajda / pixelio.deeigt Defizite bei den Fertigkeiten (Foto: Andrea Kusajda, pixelio.de)

Rund 60 Studierende verschiedener Fachrichtungen, ausgenommen Studenten der Zahn- oder Humanmedizin, mussten per Handzahnbürste Zähneputzen. Foto: Andrea Kusajda / pixelio.de

Daher hat die Medizinpsychologin das Erlernen und Ausüben zweier gängiger Putztechniken, der Fones- und der Bass-Technik, wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Rund 60 Studierende verschiedener Fachrichtungen, ausgenommen Studenten der Zahn- oder Humanmedizin, mussten per Handzahnbürste Zähneputzen. Zunächst so, wie sie es zu Hause gewohnt sind, und zum Vergleich nach genauer Anleitung in Form einer Computerpräsentation. Diese hat Deinzer gemeinsam mit Zahnmedizinern und Bewegungswissenschaftlern für jede der beiden Putztechniken entwickelt. Die Putzanleitung ist dabei klar strukturiert, arbeitet mit mantraartigen Wiederholungen und positiven, motivierenden Botschaften. Texte und Bilder werden mit Audiokommentaren und Animationen ergänzt. Über einen Spiegel konnten die Studenten prüfen, ob sie die Anweisungen richtig befolgen. Deinzer: „Für das Durchgehen der Präsentation konnten sie in ihrem Tempo vorgehen. Die Aufgabe: Zähneputzen nach Anleitung so gut es geht.“

Zähneputzen mit überraschenden Ergebnissen

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Putzen mit der Bass-Technik: Empfohlen, aber nur selten korrekt umgesetzt. Foto: Initiative ProDente

Die Probanden verteilten sich, per Zufallsprinzip, auf drei Gruppen – die Fones-, die Bass-Technik- und die Kontrollgruppe. Letztere erhielt nur sehr allgemeine Anweisungen für die Reinigung der Zähne. „Wir gaben den Probanden nur die Informationen, dass ein Zahn fünf Flächen hat, von denen drei der Zahnbürste und zwei der Zahnseide zugänglich sind“, sagt Deinzer. Hinzu kam die Bitte, systematisch zu putzen, immer mit dem hinteren Zahn beginnend in einer festen Reihenfolge und mit maximal 200 Gramm Druck. Nach dem Putzen prüften die Forscher per Einfärben die Zähne aller 58 Probanden, um zu kontrollieren, wie erfolgreich die Reinigung beim Einzelnen verlaufen war. Die Ergebnisse überraschten die Wissenschaftler. „Die Bass-Gruppe bekam gleichviel Input wie die Fonesgruppe, zeigte aber die schlechtesten Ergebnisse“, bringt es die Medizinpsychologin auf den Punkt. Sie habe sogar noch schlechter abgeschnitten, als die Kontrollgruppe. „Die Bass-Technik wird in der Parodontologie sehr forciert, nun deutet sich an, dass sie nicht so effektiv ist, wie angenommen.“ Die einzige Versuchsgruppe mit deutlich nachweisbaren Verbesserungen sei die mit der Fones-Technik gewesen. „Die Studenten haben von der Präsentation profitiert, sind aber dennoch weit von dem entfernt, was wir uns unter guten Mundhygienefertigkeiten vorstellen.“

Ob das an der Technik selbst liege oder daran, wie sie vermittelt wird, sei noch nicht bekannt. Die Forschung stehe dabei noch ganz am Anfang. „Es mangelt an fundierten Erkenntnissen darüber, was der Patient zu Hause am besten lernt.“

Zahnärzte sollten Putztechnik kontrollieren

Für den praktizierenden Zahnarzt bedeute das Studienergebnis, dass er den Patienten nicht unterstellen solle, dass sie nicht putzen wollen, sondern dass mangelnde Hygiene oft ein Mangel an Fertigkeiten widerspiegele. Daher sollte, so Deinzer, der Behandler die Fertigkeiten der Patienten prüfen, indem er die verbleibende Plaque unmittelbar nach dem Zähneputzen registriert. So können Arzt und Patient gemeinsam herausfinden, was verbessert werden kann. „Im Moment ist der Zahnarzt selbst ein wenig hilflos, weil ihm die Forschung keine wissenschaftlich erprobten Tools an die Hand gibt, sondern er muss selbst ausprobieren, was für den Patienten das Beste ist.“

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Noch lernfähig: Kinder brauchen eine korrekte Putzanleitung. Foto: Initiative ProDente

Diese sollten sich durch die Studie nicht verunsichern lassen. Kinder dürften ruhig weiter imaginäre Kreise auf ihre Zähne malen, dagegen spreche derzeit nichts. Gleichzeitig dürfe niemand erwarten, dass die Kleinen über Fertigkeiten verfügten, den Gingivarand sauber zu bekommen, wenn es selbst die Erwachsenen in der Regel nicht schafften. Deinzer: „Kinder haben das Gingivitis-Problem auch noch nicht in dem Maß, sondern eher Probleme mit Karies.“

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Die Putzfertigkeiten von Teenagern schnitten in der Studie schlecht ab. Foto: Initiative ProDente

Die Medizinpsychologin hat mittlerweile die Versuchsreihe zum Thema Mundhygiene auch mit 18-jährigen Probanden durchgeführt. Denn diese Altersgruppe komme direkt aus der Individualprophylaxe und sollte daher die richtigen Zahnputztechniken beherrschen. „Wir haben zwar noch keine genaue Auswertung vorgenommen, aber so viel kann ich sagen: Die Fertigkeiten dieser Altersgruppe sind noch schlechter als die der Studierenden.“ Auch das Putzverhalten älterer Menschen will die Medizinpsychologin in Zukunft noch genauer erforschen, um herauszufinden, ob sich mangelnde Mundhygienefertigkeiten durch alle Altersklassen ziehen und ob auch in dieser Alterskategorie die Fones-Technik der Bass-Technik überlegen ist.

Präsentation für den häuslichen Einsatz gefragt

Deinzer räumt jedoch ein, dass die Versuchsbedingungen in der Realität schwer umsetzbar seien. Zwar sieht der Zahnarzt oder die Prophylaxe-Spezialistin den Patienten häufiger, als die Forscher in ihrem Versuch. Es sei aber nicht möglich, bei jedem Besuch des Betroffenen ständig zu wiederholen, wie er richtig putzen muss. Das sei nur über eine digitale Präsentation machbar. Doch zum Durcharbeiten der Computeranleitung hätten die Studenten im Schnitt 30 bis 45 Minuten gebraucht – im normalen Praxisbetrieb kaum durchführbar. Die ideale Kombination ist für die Wissenschaftlerin daher, dass der Zahnarzt einerseits die Putztechnik abfragt und korrigiert. Zum anderen müsse eine Präsentation für den häuslichen Einsatz entwickelt werden, die der Patient nach Bedarf immer wieder aufrufen kann. „Es gibt zwar schon Zahnputz-Apps, aber die sind wissenschaftlich nicht fundiert“, erklärt Deinzer. „Aber es ist der richtige Ansatz: die Möglichkeiten moderner Technik mit wissenschaftlicher Expertise zu kombinieren, um die notwendigen Informationen erfolgreich zu transportieren.“
Sabine Wygas, Bonn, für DZW

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