Wenn aus „meiner Praxis“ „unsere Praxis“ werden soll: Auf die Teamführung kommt es an

Egal, ob man eine Praxis neu gründet oder übernimmt: Ein gut funktionierendes Team macht vieles leichter. Foto: fotolia/Christoph Hähnel

Egal, ob man eine Praxis neu gründet oder übernimmt: Ein gut funktionierendes Team macht vieles leichter. Foto: Fotolia/Christoph Hähnel

Gründe ich neu oder übernehme ich eine Praxis? Das ist die Gretchenfrage auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Manch schlaflose Nacht hat die eine oder der andere in diese Frage investiert. Für beide Optionen gibt es verschiedene Gründe, und beides kann sich bewähren. Jede Lebens- und Arbeitssituation ist individuell, jede Region anders und jedes Modell hat Vor- und Nachteile. Erst nach Abwägen aller Details kann man zu einer tragfähigen Entscheidung gelangen. Das kann schon einige Zeit in Anspruch nehmen.

Wenn Sie sich entschieden haben, dann kommen unterschiedliche Themen auf Sie zu. Insbesondere im ersten Jahr gibt es unterschiedliche Aufgabenstellungen, denen Sie sich stellen können. Das betrifft auch die Führung von Mitarbeitern. Danach nivellieren sich die Unterschiede zunehmend. Bei beiden Modellen konsolidiert sich die Zusammenarbeit etwa nach zwölf Monaten, und meist gibt es zu diesem Zeitpunkt substantielle Veränderungen.

Sie gründen ein neues Team?

Dann steht nun die richtige Personalauswahl an erster Stelle. Bei einem derzeitigen Schnitt von 0,6 Bewerbungen pro Stelle kann man schon fast nicht mehr von einer Auswahl sprechen, sondern jede Bewerbung, jeder Interessent ist zunächst herzlich willkommen. Als Neugründer begegnet man Patienten wie Mitarbeitern gegenüber zunächst einmal mit offenen Armen, und gleichzeitig ist man in einer riskanten Situation, weil man beides dringend braucht.

Die Folge: Wir schauen nicht mehr genau hin, verschließen die Augen, wenn Patienten ungewöhnlich aufwendige Behandlungen einfordern oder wenn man gleich beim ersten Gespräch mit der ZFA ein schlechtes Gefühl hat. Wir schieben beiseite, wollen, dass alles gut gelingt, und sind in der Vorgründungsphase wie in den ersten Wochen besonders leicht zu blenden.

Sich dieses Phänomen vor Augen zu führen kann davor schützen, allzu hoffnungsvoll zahlungsunfähige Patienten zu behandeln und zu blauäugig Mitarbeiterinnen einzustellen, von denen man sich innerhalb von sechs bis zwölf Monaten wieder trennen wird. Auch wenn Sie in dieser Situation dringend Personal brauchen, lohnt es, genauer hinzusehen und vielleicht etwas mehr Zeit zu investieren und einen Monat länger zu warten, bevor eine Fehlentscheidung getroffen wird.

Welches Anforderungsprofil habe ich?

Ideal sind Interessenten mit Empfehlungen und Personen, die gut auf Ihr Anforderungsprofil matchen. Überlegen Sie vorher, auf welche Stärken Sie Wert legen, damit Sie gezielt danach Ausschau halten können. Je genauer Sie im Vorfeld definieren, was genau Sie erwarten und brauchen, um so eher erkennen Sie die richtige Person. Gleichzeitig ist hier auch Vorsicht geboten: Ein allzu differenzierter Anforderungskatalog senkt die Chance, gute Mitarbeiterinnen zu finden. Sind Sie zu fixiert auf Ihre Vorstellungen, dann erkennen Sie womöglich eine Perle nicht. Innere Klarheit bei gleichzeitiger Offenheit hilft, um von einem guten ersten Kontakt zu einer optimalen Zusammenarbeit zu gelangen.

Schon beim ersten Gespräch tauschen Sie sich über Erwartungen und Wünsche aus, teilen Erfahrungen und können so eine Zusammenarbeit antizipieren. Sobald Sie sich für die erste Person entschieden haben, wird die Wahl einer zweiten Person anspruchsvoller. Denn diese Interessentin muss nun nicht mehr nur zu Ihnen selbst, sondern auch zur ersten Mitarbeiterin passen. Ihre Zielgruppe wird dadurch etwas kleiner. Denn sehr gute Einzelpersonen sind nur dann wertvoll, wenn Sie gut im Team harmonieren.

In jedem Fall haben Sie mit jeder Person Einzelgespräche geführt, bevor sich die Kollegen kennen lernen. Sollte es möglich sein und bis zur tatsächlichen Eröffnung noch etwas Zeit vergehen, ist es meist sehr angenehm für alle, wenn Sie sich in einem gemütlichen Rahmen zum ersten Mal kennen lernen und begegnen. Hier kann der Austausch darüber, was jedem wichtig ist und welche Erfahrungen er oder sie bereits gemacht hat, interessant sein. Vielleicht finden Sie hier schon Überschneidungen und können leicht ein paar bewährte Praxisabläufe an Ihre Praxis adaptieren. Von den Erfahrungen Ihres neuen Teams können Sie enorm profitieren.

Fünf Tipps für Ihr neues Team

Übernahme Neues Team
Schnelle erste Teamrunde und im Anschluss Einzelgespräche. Einzelgespräche und erste Teamrunde, sobald zwei Mitarbeiterinnen da sind.
Erfahrungen in der Zusammenarbeit erfragen und nutzen: Was lief gut? Was verbessern? Erfahrungen aus anderen Praxen erfragen und nutzen: Was lief gut? Auf was legen Sie Wert?
100 Tage beobachten und lernen. Von Anfang an eigene Erwartungen individuell und an das Team kommunizieren.
Langsam verändern, was Ihnen nicht gefällt. Die Dinge gleich so aufsetzen, wie Sie sie haben möchten.
Rollen und Kompetenzen im Team erhalten. Rollen und Kompetenzen im Team aufbauen.

Das erste gemeinsame Event: die Praxiseröffnung

Gleichzeitig planen Sie bereits Ihr erstes Event zusammen: die Praxiseröffnung. Der Tag, auf den Sie viele Jahre gewartet haben. Und auf den Sie sich ganz besonders freuen.
Schon bei diesem ersten gemeinsamen Projekt lernen Sie sich besser kennen, können Initiative, Offenheit, Verträglichkeit einschätzen und wissen danach genauer, wen Sie für Ihre Praxis gewonnen haben. Wenn Sie später im Verlauf Ihrer Selbstständigkeit neue Mitarbeiter einstellen, empfehlen sich immer ein oder zwei Probearbeitstage, bei Auszubildenden ein Monat Praktikum. Diese Erfahrungen mit der neuen Kollegin schützen vor groben Fehleinschätzungen.

Einzelgespräche und Teammeetings helfen den Mitarbeitern, ihren Platz im Team zu finden

Gerade zu Beginn ist es dann wichtig, wiederholt Einzelgespräche zu führen und Teammeetings abzuhalten, um jeder Person zu helfen, ihren Platz im neuen Team zu finden und um systematisch von den Erfahrungen der Mitarbeiterinnen zu profitieren. Sie gestalten Ihre Praxis so gemeinsam und schaffen eine stärkere Bindung der Mitarbeiterinnen an ihre Praxis, als wenn Sie sich alles alleine überlegen und mit Ihrem Team nur noch die Umsetzung besprechen. Ihre Praxis verwandelt sich dann in unsere Praxis. Und das schützt Sie vor Fluktuation.
Auf der anderen Seite haben Sie jetzt die einmalige Chance, die Dinge so aufzusetzen, wie Sie es haben wollen. Deswegen ist es gut, im Vorfeld zu entscheiden, welche Themen Sie unbedingt durchsetzen möchten und bei welchen Themen Sie flexibel den Wünschen der Mitarbeiterinnen entsprechen können.

Sie übernehmen ein bestehendes Team?

In diesem Fall gilt die klassische 100-Tage-Regel. Sie schauen sich etwa drei Monate an, wie das Team miteinander umgeht und welche Abläufe etabliert sind. Diese Zeit nutzen Sie stringent zur Beobachtung, stellen Fragen und lassen sich vom Team alle Details erklären und zeigen. Sie zeigen sich neugierig und offen und schaffen über diesen positiven Kontakt ein respektvolles Vertrauensverhältnis. Dabei wählen Sie schon aus, welche Dinge Ihnen gefallen und an welchen Stellen Sie Optimierungsbedarf sehen. Sie greifen aber noch nicht ein, sondern konzentrieren sich aufs Beobachten und Lernen.

Nach etwa 100 Tagen ziehen Sie ein Resümee für sich:
Welche Abläufe und Prozesse möchte ich beibehalten?
• Welche Abläufe und Prozesse möchte ich verändern?
• Was hat mir besonders gut gefallen?
• Was ist verbesserungswürdig?
• Was muss passieren, um aus dieser Praxis meine und unsere Praxis zu machen?
• Welchen „Geist“ möchten Sie etablieren?
• Was sollen Ihre Patienten wahrnehmen, wenn sie zu Ihnen kommen?

Wenn Sie entschieden haben, wie Sie sich Ihre zukünftige Praxis vorstellen, dann nehmen Sie nach und nach kleine Veränderungen vor. Gehen Sie so langsam vor wie nötig, um das Team nicht zu verunsichern, und so schnell wie nötig, um einen Effekt zu erzielen. Sprechen Sie mit Ihrem Team, teilen Sie Ihre Beobachtungen und entwickeln Sie möglichst gemeinsam die Optimierung. Wenn Sie Ihr Team von Anfang mit einbeziehen, müssen Sie Veränderungen weder überzeugend darlegen, noch auf ihre Einhaltung achten. Alles, was wir uns selbst (mit-)überlegt haben, setzen wir auch gerne um.

Besondere Qualität: Sie sind Tochter oder Sohn und übernehmen von den Eltern?

Dann erinnern sich alle bestimmt noch gerne daran, wie Sie in der Küche saßen und Ihre Hausaufgaben gemacht haben. Dabei wollen Sie nun so nicht mehr wahrgenommen werden. Sie können schöne Erinnerungen nicht abstellen, aber Sie haben nun die Chance, dem ein neues Bild entgegenzusetzen. Dabei gelten die gleichen Handlungsprinzipien, wie oben beschrieben: erst beobachten und lernen und dann langsam eingreifen und handeln. Besonders wichtig ist hier die Würdigung des bestehenden Teams. Oft waren diese Personen Ihren Eltern viele Jahre treu und haben damit auch dazu beigetragen, dass Sie einen so gut Weg machen konnten. Respekt und Anerkennung können Sie nun zurückgeben und die Personen in Ihren Stärken einsetzen und nutzen. Dafür können Sie zum Teil auch von den Erfahrungen Ihrer Eltern profitieren, gleichzeitig ist es genauso bedeutsam, sich ein eigenes Bild zu machen und dazu bereit zu sein, Personen neu wahrzunehmen. Nicht immer stimmt noch das, was über einzelne Mitarbeiterinnen vor zehn oder mehr Jahren am Abendbrottisch zu Hause erzählt wurde.

Dr. Susanne Klein, Offenbach

Zu unserer Autorin:

Dr. Susanne Klein (Foto: Klein)

Dr. Susanne Klein (Foto: Klein)

Dr. Susanne Klein ist Referentin in der Pluradent-Akademie für das Thema „Praxisführung“ und ist maßgeblich verantwortlich für das Coaching von Praxisinhabern und Führungsteams zur Gestaltung von erfolgreicher Führung und Zusammenarbeit bei ProdentConsult. Die promovierte Psycholinguistin berät und coacht seit 1993 Führungskräfte in verschiedenen Unternehmen. Seit zehn Jahren bildet sie international zertifizierte Führungscoaches aus und hat eine Vielzahl an Publikationen in diesem Themenbereich veröffentlicht. Sie hat zwei international anerkannte Preise für ihre Programme gewonnen. 2015 wurde sie in den deutschen Vorstand des European Mentoring and Coaching Council gewählt.

Kontakt per E-Mail an susanne.klein@pluradent.de.

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