Wasserhygiene in der Zahnarztpraxis – Sachgerechte Aufbereitung und Risikomanagement erforderlich

Seit den ersten vorliegenden Untersuchungsergebnissen über den Keimgehalt des Turbinensprays von E. Bauer und K. Portele [1] (1966) und L. Grün et al. [2] (1969) sind inzwischen mehr als vier Jahrzehnte vergangen, ohne dass die komplexe Problematik der Wasserhygiene in der Zahnarztpraxis auf breiter Basis gelöst werden konnte. Trotz vorhandener [3–19] Regelwerke und Studien [20–28] sowie einer Fülle von technischen und chemischen Arbeitsmitteln und Verfahren [23–28] gibt es immer noch ein Gefährdungspotenzial. Die gegenwärtig von einer offiziellen multidisziplinären Arbeitsgruppe zu entwickelnde Leitlinie „Wasserqualität in zahnärztlichen Behandlungseinheiten“ soll hier für eine weitere Abhilfe sorgen [23].

Wasserhahn

Foto: Geitz

Selbst, wenn die Qualität des Wassers aus den Behandlungsgeräten einwandfrei ist, werden die Übertragungsinstrumente, zum Beispiel Turbinen, Hand- und Winkelstücke, Arbeitsteile von Ultraschallgeräten, bei ihrer Anwendung kontaminiert. Je nach deren Risikoeinstufung gemäß Robert-Koch-Institut (RKI) [3] (Tabelle) ist eine sachgerechte Aufbereitung erforderlich. Es hat lange gedauert, bis sowohl die einschlägige Industrie als auch die Arbeitsmittelanwender („Betreiber“ gemäß Medizinprodukte-Betreiberverordnung, MPBetreibV [6]) einigermaßen davon überzeugt werden konnten, dass nur das Erfüllen der jeweiligen Anforderungen das Gefährdungsrisiko verhindern oder zumindest vermindern kann [10]. Eine Kontroverse besteht über die Wirksamkeit manueller Aufbereitungsverfahren, obwohl auf die nass-chemische Reinigung und Desinfektion – je nach Risikostufe – eine Dampf-Desinfektion beziehungsweise -Sterilisation folgen muss [3,10,11].

Praxisversuche mit unterschiedlichen Kontaminationen haben eine erhebliche Heterogenität ergeben, und es ist herausgekommen, dass die Verschmutzung mit Blut die Aufbereitung erschwert [10,27]. So war es beispielsweise nicht möglich, mit dem Turbocid-Gerät die durchschnittliche Reduktion um fünf Zehnerpotenzen zu erreichen, wenn Übertragungsinstrumente stark mit Blut kontaminiert waren [28].

Durch die unter Umständen notwendige Temperierung des zugeführten Wassers im Behandlungsgerät und durch längere Stagnationszeiten können sich Erreger-Konzentrationen von mehr als 100.000/ml zu einem Biofilm entwickeln. Besonders gefährlich sind dabei Pseudomonas aeruginosa und Legionellen [3,10,27]. Je länger die Standzeit und je höher die Temperatur, desto stärker ist die Vermehrung dieser Keime [27]. Gemäß der deutschen Trinkwasserverordnung [14] ist der Praxis- beziehungsweise Klinikbetreiber verpflichtet, mikrobiologische Untersuchungen zumindest ein Mal pro Jahr zu veranlassen und unter Umständen chemische oder chemothermische Dekontaminationsmaßnahmen ausführen zu lassen.

Wasser führende Systeme sind zu Beginn des Arbeitstages an allen Entnahmestellen, auch Mundglasfüller, für etwa zwei Minuten durchzuspülen. Dadurch kann – laut DAHZ-Hygieneleitfaden [10] – die während einer Stagnation entstandene mikrobielle Akkumulation erheblich reduziert werden. Ebenso sind die benutzten Entnahmestellen nach der Behandlung jedes Patienten für mindestens 20 Sekunden durchzuspülen, um auch so die erfolgte Kontamination zu minimieren [3,10,11].

Wenn die Behandlungsgeräte über eine Einrichtung zur Dauer- und/oder Intensivdekontamination verfügen, trägt dies ebenfalls zu einer wesentlichen Reduktion der Keimzahlen bei [27]. Die Gebrauchsanweisungen und sonstigen Informationen der Produkthersteller sind zu beachten [10,27].
Bei einer Nachrüstung der Behandlungsgeräte mit einem Dekontaminations- beziehungsweise Desinfektionssystem sind bestehende Biofilme zu beseitigen. Bei Neuanschaffungen sollten solche Systeme integriert sein [3,10].

Als bei einer Fortbildungsveranstaltung in Bremen (1966) einer der professoralen Referenten eine knochenchirurgische Präparation mit Turbine und Leitungswasser ausführte, wurde dies in der Schlussdiskussion von W. Hahn [35] und K. Kimmel [36] kritisiert. In der Folgezeit war diese Verfahrensweise immer wieder ein kontroverses Thema [37–40], sodass sich schließlich auch der DAHZ dagegen aussprach und die Anwendung steriler Kühlmedien empfohlen hat [9].

In einer 2008 publizierten Multicenterstudie zur Durchführung ausgewählter Hygienemaßnahmen in 331 Zahnarztpraxen in Berlin, Greifswald und Magdeburg wurde festgestellt, dass in 272 dieser Praxen das Kühlwasser auch bei operativen Maßnahmen aus dem Leitungsnetz entnommen wurde [30]. Im Studienbericht wurde dies wegen des Kontaminationsrisikos nicht für vertretbar gehalten und die Anwendung von sterilem Kühlwasser gefordert.

Größeres Risiko bei immunsupprimierten Patienten
Während bei Patienten mit normaler Immunabwehr und dem Praxisteam das Erkrankungsrisiko durch eine auf einer Biofilmbildung beruhenden Kontamination des Kühl- und Spülwassers als gering eingeschätzt werden kann, können bei immusupprimierten und bei beispielsweise an Mukoviszidose erkrankten Patienten selbst sehr geringe Erregerzahlen zu Infektionen führen [3,10,27].

Obwohl das auf der Europäische Richtlinie für Medizinprodukte (MP) 93/42/EWG beruhende nationale Medizinproduktegesetz [4] und die inzwischen verschärften MP-Verordnungen [5–7] „auf dem Papier“ erhebliche Anforderungen an die Qualität der Arbeitsmittel und deren Anwendung stellen, kann sich der Zahnarzt auch in dem hier ins Blickfeld gerückten Hygienebereich nicht grundsätzlich darauf verlassen, dass die von ihm ins Auge gefassten oder schon ausgewählten Produkten eine echte Konformität mit den vielfältigen Regelwerken aufweisen [32,41]. Die Hinweise von Herstellern auf die QM-Normen gemäß DIN EN ISO 9001 oder 9002 sind keinesfalls ausreichend, um die funktionelle und effektive Produktqualität nachzuweisen. Fast nirgendwo wird angegeben, dass das Risikoanalysen und -bewertungen gemäß DIN EN ISO 14971 [8] ausgeführt worden sind, obwohl gerade das Risikomanagement im Infektionsschutzsektor – auf allen Ebenen – besonders wichtig ist

Die hohen Anforderungen der RKI-Empfehlung „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde“ [3] an wasserführende Behandlungsgeräte werden – so die Untersuchungsergebnisse aus Kliniken für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde (ZMK) [25–27] – selbst im Universitätsbereich nicht eo ipso erfüllt. Um deren Umsetzung im Kieler Universitätsklinikum zu überprüfen, wurden von 73 Behandlungsplatzausrüstungen Wasser aus den Ansatzkupplungen für Turbinen sowie Hand- und Winkelstücke entnommen und bei 36 Grad Celsius die Koloniezahl von Legionellen und Pseudomonas aeruginosa getestet [27].

Rund 50 Prozent der Geräte entsprachen nicht den RKI-Anforderungen. Es wurden teilweise sehr hohe Koloniezahlen und Belastungen mit Legionellen und P. aeuginosa nachgewiesen, wobei die Geräte ohne regelmäßige Intensivdekontamination (mit 0,4-0,5 Milligramm Chlordioxid) am meisten betroffen waren. Bei 29 Geräten (38,2 Prozent) waren die zuvor angegebenen Richtwerte [3] eingehalten und keiner der Problemkeime nachweisbar. Gerade dieses und andere ähnliche Untersuchungsergebnisse [1,2,21–26,29–33] zeigen, wie komplex die Materie hinsichtlich der Wasserhygiene in Klinik und Praxis ist.

Seit der Einführung der Turbine und der notwendigen Kühltechnik am Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre ist sich unsere zahnmedizinische Fachwelt erst allmählich und dann in steigendem Maße bewusst geworden, dass das aus den verschiedenen Behandlungsgeräten entnommene Wasser kontaminiert sein kann und ein bestimmtes Erregerspektrum bei entsprechenden Keimzahlen zu Gesundheitsgefährdungen bei Patienten und ebenso beim Praxispersonal führen kann. Seit den ersten „Alarmmeldungen“ [1] sind – so eine ausführliche Literatur- und Internetrecherche – mehr als 100 Studienberichte und andere Beiträge über diesen Sach- und Problemkomplex publiziert worden, sodass kein Zweifel bezüglich der möglichen Kontaminierung des Kühl- beziehungsweise Spülwassers und der dabei benutzen technischen Arbeitsmittel bestehen kann. Das Risiko kann einerseits durch eine konsequente Aufbereitung der technischen Arbeitsmittel und andererseits durch die Absicherung der wasserführenden Elemente verhindert oder zumindest weitgehend vermindert werden. Es kommt jetzt und in Zukunft darauf an, hier eine Verfahrensoptimierung herbeizuführen, die zum Beispiel mit der Elektrooxidation erreicht werden kann.
Dr. Karlheinz Kimmel, Neuhäusel

Bezeichnung Kontakt Desinfektion Sterilisation
Unkritisch intakte Haut nein, Reinigung nein
Semikritisch A Schleimhaut, krankhaft veränderte Haut, glatte Instrumente, ohne besondere Anforderungen ja nein
Semikritisch B Schleimhaut, krankhaft veränderte Haut, raue Instrumente, mit besonderen Anforderungen, Hohlräume ja ja – optional
Kritisch A Schleimhautdurchdringung, glatte Instrumente, ohne besondere Anforderungen ja, vorher ja
Kritisch B Schleimhautdurchdringung, raue Instrumente, mit besonderen Anforderungen, Hohlräume ja, vorher ja

Literaturliste

1. Grün L, Grott K: Über den Keimgehalt des Turbinensprays. Dtsch Zahnärztl Z 1966;24:1169-1177
2. Bauer E, Portele K: Infektionsgefahr und Schutzmaßnahmen bei der Präparation mit Turbinengeräten. Zahnärztl Praxis 166;17:91-95
3. Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut: Infektionsprävention in der Zahnheilkunde. Anforderungen an die Zahnarztpraxis.
Bundesgesundheitsbl 2006;49:375-394 www.RKI.de
4. Bundesrepublik Deutschland: Medizinproduktegesetz (MPG) zuletzt geändert am 24. Juli 2010. Bundesgesetzbl 2010 I:983
5. Bundesrepublik Deutschland: Verordnung über Medizinprodukte (MPV), Bundesgesetzbl 1010 I:555
6. Bundesrepublik Deutschland: Verordnung über das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten (MPBetreibV). Bundesgesundheitsbl 2009 I:2338
7. Bundesrepublik Deutschland: Verordnung über die Erfassung; Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (MPSV). Bundesgesetzbl 2010 I: 560
8. Deutsches Institut für Normung: DIN EN ISO 14971:2010 Risikomanagement bei Medizinprodukten
9. Deutscher Arbeitskreis für die Hygiene in der Zahnmedizin: DAHZ-Hygieneleitfaden.
7. Ausgabe. Kiel/Norderstedt. www.dahz.de
10. BZÄK/DAHZ: Hygiene-Rahmenplan. www.bzaek.de
11. Bundesrepublik Deutschland: Infektionsschutzgesetz (IfSchG) vom August 2011
12. Bundesrepublik Deutschland: Trinkwasserverordnung (TrinkwV)
13. Deutsches Institut für Normung: DIN EN ISO 7494-2:2001 Zahnärztliche Behandlungsgeräte. Luft- und Wasserversorgungssysteme
14. Deutsches Institut für Normung; DIN EN ISO 7494-1:2005 Zahnärztliche Behandlungsgeräte. Allgemeine Anforderungen und Prüfverfahren

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