Mein Großvater war ein richtiger Zahnarzt, nach guter alter Manier. Im Anschluss an sein Studium sammelte er noch ein paar Erfahrungen in einer anderen Praxis, machte sich dann aber schnell selbstständig. Er war der Chef, sowohl für Patienten als auch Mitarbeiter.Er war der „Gott in Weiß“, der von Zahnschmerzen geplagte Menschen von ihrer Pein befreite.

Viele junge Kollegen sehen sich nicht mehr als Einzelkämpfer. Sie wollen mit Kollegen zusammenarbeiten, sich über gemeinsame Fälle austauschen. Foto: kurhan/Shutterstock.com
Neue Faktoren prägen den zahnärztlichen Berufsstand
Die Therapieempfehlungen wurden nicht in Zweifel gestellt, man wartete als Patient geduldig bis einem geholfen wurde. Mittwoch war „Ärztesonntag“, das musste nicht mal auf einem Praxisschild erwähnt werden. Er konnte voll und ganz Arzt sein, war nur seinem Gewissen gegenüber verpflichtet.
Ja klar, die Zeiten haben sich geändert. Doch bis vor wenigen Jahren war dies noch das Wesen der zahnmedizinischen Berufsausübung. Bis heute ist die Mehrheit der Praxen als Einzelpraxis aufgestellt. Bis heute sind viele Praxen Mittwochnachmittag geschlossen. Bis heute sind viele Zahnärzte die „Götter in Weiß“, eben die Besten ihres Fachs.
Doch in den vergangenen Jahren haben sich die Rahmenbedingungen maßgeblich geändert. Neue Faktoren prägen den Berufsstand. Und da diese sich in den nächsten Jahren wohl noch verstärken werden, lassen sie sich auch als Megatrends bezeichnen:
![]() Dr. Ruben Stelzner Dr. jur. Dr. med. dent Ruben Stelzner Erfahrungen aus mehreren Zahnarztpraxen mit unterschiedlichsten Konzepten und aktuelle politische Entwicklungen in der Medizin haben ihn angetrieben, ein neuartiges zahnärztliches Kooperationsmodell zu verfolgen: moderne Zahnheilkunde für jedermann. |
Megatrend 1: Das Gesundheitswesen hat sich geändert
Die Anforderungen zum Betrieb einer Zahnarztpraxis werden immer höher. Qualitätsmanagement ist mittlerweile Pflicht. Die Hygienerichtlinien werden an die der Krankenhäuser angepasst. Patientenrechtegesetz, Antikorruptionsgesetz etc. müssen beachtet werden. Finanzämter spezialisieren sich auf Heilberufe und überprüfen Mehrwertsteuer und Gewerbesteuern der Praxen – Bereiche, die früher in der Zahnmedizin keinerlei Rolle spielten. Gleichzeitig sieht sich die Politik einer durch den demografischen Wandel drohenden Mangelwirtschaft entgegen. Die Regularien zur Kontrolle der Gesundheitsausgaben steigen stetig. Die zahnärztlichen Honorare werden gedeckelt und regressiert, wo immer es geht, sei es über die Degression, Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder den Honorarverteilungsmaßstab. Solche Rückforderungen erfolgen häufig erst nach Jahren.
Megatrend 2: Der Patient hat sich geändert
Die Patienten glauben nicht mehr an den „Gott in Weiß“. Über Google können Diagnosen und Therapien sofort hinterfragt werden. Online-Bewertungsportale durchleuchten den Arzt. Alles ist viel transparenter geworden. Patienten werden Kunden und erwarten den Service, den sie aus anderen Bereichen gewohnt sind: moderne Räumlichkeiten, lange Öffnungszeiten, Onlinebuchbarkeit und Preistransparenz. Patienten sind es mittlerweile gewohnt, beim Zahnarzt etwas dazuzahlen zu müssen. Die Kosten spielen deshalb eine immer größer werdende Rolle.
Megatrend 3: Der Zahnarzt hat sich geändert
Häufig steht ein Spezialisierungswunsch im Raum, der aber nur sinnvoll ist, wenn dafür genügend Patienten zur Verfügung stehen. Teure Praxisgründungskosten bürgen angesichts der seit Jahren sinkenden Einnahmen eines Praxisinhabers häufig ein großes Risiko. Knapp 47 Wochenstunden lassen kein Raum mehr für eine gesunde Work-Life-Balance. Gleichzeitig müssen Bereiche mit abgedeckt werden, für die man eigentlich nicht Zahnmedizin studiert hat: Mitarbeiterakquise, Businessplan, Marketing, Homepagepflege, Abrechnung, QM etc.
![]() |
Mehr zum Thema Trends lesen Sie in der Printausgabe von |
Das machen, wovon man im Studium geträumt hat: Zahnmedizin
Aus diesen Gründen ist es nur konsequent, dass vom Gesetzgeber die Möglichkeiten geschaffen wurden, größere Kooperationen zu gründen, unter anderem Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Diese können in vielen Bereichen wirtschaftlicher arbeiten, da sich mehrere Zahnärzte Räumlichkeiten, Behandlungsstühle, Röntgengeräte etc. teilen. Sogar sehr teure Geräte, die sich für eine Einzelpraxis häufig nicht rechnen, amortisieren sich (DVT, Mikroskope, Zirkonfräsen, Laser). Es lohnt sich, Mitarbeiter speziell für die Bereiche QM, Hygiene, Abrechnung, Personal zu beschäftigen. Diese halten den Zahnärzten den Rücken frei, und sie können wieder das machen, wovon sie zu Beginn des Studiums geträumt haben: Zahnmedizin.
38 Wochenarbeitsstunden und neuestes Equipment – aber ohne finanzielles Risiko
Außergewöhnliche Arbeitszeitmodelle ermöglichen nicht nur lange Öffnungszeiten der Praxis, sondern auch gestraffte Behandlungszeiten für die Mitarbeiter; ohne lange Mittagspausen, sodass neben dem Beruf auch noch viel Zeit für Privates bleibt. Aus den 47 Wochenarbeitsstunden können so wieder 38 gemacht werden, bei mittlerweile häufig gleichwertigen Verdienstaussichten wie in der Niederlassung. Aber ohne finanzielles Risiko.
Wäre mein Großvater also auch Zahnarzt in einem MVZ geworden?
Die Zusammenarbeit mit Kollegen „auf Augenhöhe“ und der fachliche Austausch hätten ihm sicher gut gefallen. Das Arbeiten mit neuestem Equipment ohne Frage auch. Skeptisch wäre er bei der Frage nach seiner Therapiefreiheit gewesen. Hier hätte er sich nicht einschränken lassen wollen. Insbesondere wäre es ihm wichtig gewesen, dass das medizinische Ethos höchste Priorität hat und es sich dabei nicht um rein profitorientierte Konzerne handelt.
AllDent in Zahlen:
Standort München Hauptbahnhof: Standort Frankfurt: Zahntechnisches Labor |
Der Weg hin zu größeren Versorgungsstrukturen ist unausweichlich
Das wird es wohl sein. Die Megatrends haben bereits und werden die zahnmedizinische Landschaft noch stark verändern. Der Weg hin zu größeren Versorgungsstrukturen, sei es MVZ oder Gemeinschaftspraxis, ist unausweichlich. Wir sollten es als Chance sehen, um viele neue Möglichkeiten umzusetzen. Das ärztliche Ethos sollte – egal wie groß die Einrichtung ist – federführend sein. Das wird auf Dauer nur gelingen, wenn junge Zahnärzte sich entschließen, nicht nur in diesen Kooperationen mitzuarbeiten, sondern diese auch zu gründen. Nur wer Zahnmedizin studiert hat, den hippokratischen Eid kennt, wird sich dazu verpflichtet fühlen. Denn vor der Tür stehen sie schon: externe Finanzinvestoren, die die zahnmedizinische Versorgungslandschaft in Deutschland als Business Case mit hohem Profitpotenzial sehen. Sie kaufen mehrere Praxen, vergrößern diese zu einer Kette, senken die Kosten, und verkaufen sie nach fünf bis sieben Jahren an den nächsten Investor. Alleiniger Zweck ist das Geldverdienen. Das hätte meinem Großvater nicht gefallen. Das sollte uns in Deutschland nicht passieren.
Dr. jur. Dr. med. dent Ruben Stelzner