Kündigung wegen HIV-Infektion kann gegen AGG verstoßen

Aufhebungsverträge und Kündigungen

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Eine seit langer Zeit umstrittene Frage hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2013, 6 AZR 190/12, entschieden, nämlich die Frage, ob die Kündigung eines symptomlos HIV-Infizierten gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen kann.

Im entschiedenen Fall hatte die beklagte Arbeitnehmerin, eine Produzentin intravenös zu verabreichender Arzneimittel zur Krebsbehandlung, den Kläger als Chemisch-Technischen-Assistenten zur Arzneimittelherstellung und Qualitätskontrolle im sogenannten Reinraum-bereich eingestellt. Einige Tage nach der Einstellungsuntersuchung und nach Beginn des Arbeitsverhältnisses teilte der Arbeitnehmer dem Betriebsarzt des Arbeitgebers mit, dass er mit HIV infiziert sei, allerdings symptomlos.

Der Betriebsarzt äußerte Bedenken gegen den Einsatz des Klägers im sogenannten Reinraumbereich und informierte den Arbeitgeber über die Erkrankung, der damit reagierte, dass er noch am selben Tag das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigte. Er begründete dies damit, dass wegen der ansteckenden Krankheit ein Einsatz des Klägers nach dem internen Regelwerk des Arbeitgebers nicht möglich sei.

Der Arbeitnehmer erhob gegen diese Kündigung fristgerecht Kündigungsschutzklage und machte geltend, dass er behindert sei. Die Kündigung sei unwirksam, weil sie ihn wegen seiner Behinderung diskriminiere. Neben der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung verlangte er außerdem eine Entschädigung gemäß Paragraf 15 Absatz 2 AGG in Höhe von drei Monatsgehältern aufgrund seines immateriellen Schadens.

Arbeitsgericht (AG) und Landesarbeitsgericht (LAG) hatten die Klage abgewiesen, das Bundesarbeitsgericht hob jedoch diese Vorentscheidungen auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück, damit dies weiter aufklären kann, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Klägers hätte ermöglichen können.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts kann hier ein Verstoß gegen das AGG bejaht werden und zwar aufgrund des Vorliegens einer Behinderung. Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch, in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren/Barrieren, seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, beeinträchtigt sein kann. Wenn ein Arbeitnehmer symptomlos an einer HIV-Infektion erkrankt ist, ist er in diesem Sinne behindert.

Auch chronische Erkrankungen können zu einer Behinderung führen, die gesellschaftliche Teilhabe HIV-Infizierter ist typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind.

Wenn ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines solchen Arbeitnehmers in der Wartezeit des Paragraf 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) wegen der HIV-Infektion kündigt, so ist die Kündigung im Regelfall diskriminierend und somit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen kann. Die Kündigung benachteiligt den Kläger in diesem Verfahren also unmittelbar im Sinne des
 Paragraf 3 Absatz 1 AGG, weil sie in untrennbarem Zusammenhang mit seiner Behinderung steht.

Ob die Kündigung gerechtfertigt ist, muss das LAG nun aufklären und feststellen, ob ein Einsatz des Klägers hätte ermöglicht werden können. Wenn ja, ist die Kündigung unwirksam, wenn nein, ist die Kündigung wirksam, eine Entschädigung scheidet aus.
RA Stefan Engelhardt, Hamburg

Rechtsanwalt Stefan Engelhardt ist Landesregionalleiter „Hamburg“ der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft

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