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Ästhetik von Webseiten – Dr. Meinald Thielsch verrät, worauf es ankommt

Dr. Meinald Thielsch [1]

Dr. Meinald T. Thielsch ist Diplom-Psychologe und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Arbeitseinheit psychologische Diagnostik.

Praktisch sollen sie sein, auf den ersten Blick verraten, wo sich die Informationen verstecken. Und die sollten natürlich umfangreich sein, aber auch nicht zu sehr, um den Nutzer nicht zu verwirren. Mehr muss eine Webseite nicht bieten. Oder etwa doch? Dr. Meinald Thielsch von der Arbeitseinheit für Psychologische Diagnostik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), sieht das anders: „Ästhetik spielt bei der Bewertung von Webseiten eine wichtige Rolle.“

Schön sollen sie also auch sein. Doch was ist Schönheit eigentlich? Chance Praxis-Redakteurin Monia Geitz fragte im folgenden Interview den Experten Dr. Meinald Thielsch zu den Kriterien für eine „gelungene“ Homepage.

CP: Herr Dr. Thielsch, Stichwort Ästhetik – was genau bedeutet „Ästhetik“?
Dr. Meinald Thielsch: Ästhetikwahrnehmung entsteht aus einem Zusammenspiel von Eigenschaften eines Objekts – wie zum Beispiel einer Website – und Eigenschaften des Betrachters. Aufgrund dieser individuellen Anteile wird Ästhetik in der Psychologie auch als „subjektives Wohlgefallen“ definiert. Diese Definition geht zurück auf den Psychophysiker Gustav Theodor Fechner und stammt aus dem Jahr 1871. Ästhetik lässt sich als unmittelbar eintretendes, positiv bewertetes, auf ein Objekt bezogenes Erlebnis verstehen.

CP: Welche ästhetischen Parameter machen denn eine Website gut oder schlecht; entscheiden über Gefallen oder Nichtgefallen?
Thielsch: In unseren Forschungsarbeiten haben sich vier wichtige Facetten gezeigt: Die Einfachheit, die Vielfalt, die Farbigkeit und die Professionalität einer Website. Einfachheit umfasst dabei, wie übersichtlich und strukturiert das Layout der Website gestaltet ist. Vielfalt bezieht sich auf Originalität und Dynamik des Designs, während Farbigkeit die ästhetische Einschätzung von Farbauswahl, -einsatz und -kombination behandelt. Professionalität bezieht sich auf die Kunstfertigkeit, Aktualität, Gekonntheit und Durchdachtheit des Designs einer Website.

CP: Wie viele Parameter für eine ästhetisch ansprechende Webseite würden Sie unterscheiden?
Welches sind die wichtigsten?
Thielsch: In einer umfassenden gemeinsamen Forschungsarbeit mit meinem Kollegen Dr. Morten Moshagen von der Universität Mannheim haben wir 42 relevante Aspekte der Webästhetik identifiziert und in zwölf Kategorien gruppiert.
Aus diesen haben wir die oben genannten vier zentralen Aspekte in einer Serie von Studien abgeleitet. Von diesen vier Facetten ist in verschiedenen Experimenten stets die Farbe am wichtigsten für die Einschätzung der Websurfer.

CP: Gibt es Betrachtungsunterschiede bei Männern und Frauen?
Thielsch: Nur sehr geringe, selbst Farbpräferenzen sind online weitgehend vergleichbar. Auf Basis unserer bisherigen Forschungen würde ich vermuten, dass Geschlechterunterschiede weitgehend in inhaltlichen Aspekten der untersuchten Website begründet sind – nicht aber im Design selbst. Generell haben individuelle Vorlieben bei der Beurteilung von Websites einen vergleichsweise geringeren Anteil – die meisten Nutzer sind sich über ihre Einschätzung überraschend einig.

modell [2]CP: Sind Baukastensysteme bei Homepages ästhetisch schlechter als individuell programmierte Seiten?
Thielsch: Offen gesagt kann ich diese Frage so nicht beantworten – dafür kenne ich Baukastensysteme nicht umfassend genug, und dort ist die Bandbreite auch riesig. Es gibt eine Studie, die zeigt, dass Farbkombinationen, die von Designern erstellt wurden deutlich besser bewertet werden als über mathematische Algorithmen erzeugte Kombinationen.

CP: Wie kann man Website-Ästhetik messen?
Thielsch: Ästhetik definiert sich über die subjektive Wahrnehmung der Nutzer, dementsprechend werden bei der Bewertung von Ästhetik oft die subjektiven Urteile per Fragebogen erfasst. Weitere Erhebungsverfahren und klassische Methoden wie zum Beispiel Paarvergleiche, Experten- oder Checklisten-Evaluationen sind zwar denkbar, aber bisher nur wenig im Einsatz. Für unsere Forschung haben wir einen eigenen Fragebogen zur Website-Ästhetik erstellt, dieser ist auch für alle Interessenten unter www.visawi.de frei verfügbar.

CP: Warum entscheidet nicht nur der Nutzen einer Seite wie die dort auffindbaren Fachinformationen – wann kommt die Ästhetik ins Spiel?
Thielsch: Man geht nicht online, um eine schöne Website zu sehen – sondern aufgrund bestimmter Inhalte. Dennoch spielt die Ästhetik des Designs eine wichtige Rolle, vor allem für den Ersteindruck. Wenn es allerdings darum geht, eine Seite weiterzuempfehlen oder erneut zu besuchen, dann ist der Inhalt absolut zentral. Gerade bei unbekannten Websites spielt hier die Ästhetik aber auch noch eine Rolle, wenn auch etwas geringer – quasi als indirekter Verstärker. Die Benutzbarkeit der Webseite selber ist auch nicht zu vergessen, ihr kommt aber die größte Bedeutung vorrangig bei der aktiven Nutzung einer Website zu.

Quelle: LiliGraphie_pixelio.de. [3]

Künftig werden Webseiten noch professioneller. Foto: LiliGraphie /pixelio.de. [4]

CP: Müssen 2011 Webseiten ästhetischeren Kriterien folgen als noch vor fünf oder zehn Jahren?
Gibt es eine Entwicklung? Wohin wird sie innerhalb der nächsten fünf Jahre gehen? Gibt es Trends?
Thielsch: Prognosen sind immer schwierig – wir sehen aber im Web, dass gerade technische Entwicklungen auch das Webdesign stark beeinflussen. In der letzten Dekade haben sich Breitbandanschlüsse weitgehend durchgesetzt, die Bildschirme wurden zum einen größer – aber auch im Falle mobiler Endgeräte wieder kleiner. Gerade letzterer Punkt führt zu Herausforderungen und oftmals bieten große Unternehmen noch eine eigene Website für mobile Geräte an. Aufgrund der fortgeschrittenen Möglichkeiten und der immer noch wachsenden Bedeutung werden wir in den nächsten Jahren bestimmt eine weitere Professionalisierung vieler Websites erleben.

CP: Geht der Trend denn überhaupt noch zu eigenen Homepages, oder verlieren diese durch das vermehrte Aufkommen von Social Networks wie Xing, LinkedIn und Facebook mehr und mehr an Bedeutung?
Thielsch: Die Zeitungsanzeige hat auch nicht die eigene Unternehmensbroschüre verdrängt – ich gehe davon aus, dass hier stark parallel gearbeitet werden wird, sowohl über die eigene Website als auch über soziale Netzwerke.

CP: Beim Design einer Website gibt es ja auch zahlreiche Möglichkeiten. Was oft sofort ins Auge fällt, sind die verwendeten Farben. Gibt es ein psychologische Wirkung hinsichtlich der Farbigkeit?
Thielsch: Auf jeden Fall – alle kennen Signalfarben wie rot, entsprechend wirken auch Farben im Web. Dass Websites oft blaue Elemente nutzen, hängt sicherlich auch mit der oftmals gefunden Präferenz für Blau und der angenehmen Wirkung dieser Farbe zusammen.

CP: Entscheidet die Farbigkeit über Lesbarkeit und Seriosität der Seite?
Thielsch: Entscheidend ist die Passung von Inhalten und Design. Eine Website, die ein aufregendes Thema beinhaltet, sollte auch entsprechend farbig daherkommen, eine Seite über ein sensibles Themengebiet eher bedeckter und zurückhaltender.

CP: Würden Sie eher einen bunten oder einen monochromen und sparsamer Farbeinsatz empfehlen?
Thielsch: Eine Regel aus der Literatur besagt: Die Farbwahl sollte ausgeglichen sein und Pastellfarben mit geringer Sättigung für Hintergründe verwendet werden. Es sollten auf einer Webseite nicht mehr als zwei oder drei intensive (gesättigte) Farben genutzt werden. Aber wie gesagt, es kommt auch auf die thematische Abstimmung an.

CP: Mittlerweile sind ja Bewegtbilder, Multimedia-Elemente, Effekte und Plug-Ins auf zahreichen Webseiten mit eingebunden. Nimmt der User dafür auch die längeren Ladezeiten in Kauf?
Thielsch: Wichtig ist ein strukturiertes und konsistentes Layout mit einer eindeutigen Formsprache. Bildelemente werden von den Nutzern oft erwartet, sollten aber die Ladezeit nicht belasten. Auch dezent eingesetzte bewegte Elemente, beispielsweise mit Flash, können eine positive Wirkung haben. In einer unserer Studien zeigten sich aber auch klare Zusammenhänge zwischen Bildern und dem Websiteinhalt, konkret sollten die Bilder auch inhaltlich zur Seite passen und nicht nur rein aufgrund der Bildästhetik ausgewählt werden.

CP: Bei der Beurteilung von Schönheit werden oft symmetrische Anordnungen positiv empfunden? Gibt es hierzu in Bezug auf die Aufteilung der Seite in Spalten oder die Platzierung der grafischen Elemente Anordnungen, die der Nutzer als angenehm oder ästhetisch empfindet?
Thielsch: Symmetrische Designs werden oft empfohlen, aber auch im Web wird in unserem Kulturkreis von links nach rechts gelesen. Der obere linke Bildschirmquadrant ist also der wichtigste. Eine Website muss damit nicht zwingend symmetrisch sein, gerade Dreispaltenlayouts werden im Moment aber auffallend häufig genutzt und haben sicherlich eine gute Wirkung.

CP: Manche Website haben viel Content zu transportieren. Dienen zahlreiche Unterseiten der Klarheit oder verwirren sie die Nutzer eher? Wie viele Unterseiten oder Unterpunkte in der Menüstruktur sind gangbar?
Thielsch: Natürlich will ein Websurfer schnell zu einer Information gelangen. In einer unser Experimente brauchten die Nutzer bereits dann eine kurze Eingewöhnungszeit, wenn vier Klicks notwendig waren um zu einer relevanten Unterseite zu kommen. Manche Websites wollen aber sehr viele Informationen zu verschiedenen Themen geben, hier ist eine geschickte Informationsarchitektur nötig. Bei einer Website eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens wird man aber sicherlich oft mit wenig verschiedenen Ebenen auf der Website auskommen können.

CP: Auch Links werden gerne eingesetzt. Zahlreich oder sparsam; wo sind sie hilfreich, wo weniger?
Thielsch: Das würde ich sagen ist rein vom Inhalt abhängig.

CP: In wieweit muss sich die Sprache der Zielgruppe anpassen? Sind inhaltliche Hilfestellungen wie zum Beispiel ein Glossar nötig?
Thielsch: Auf jeden Fall – gerade bei Websites mit medizinischen Informationen sind die Verständlichkeit für den Laien, aber auch ein Design, was Vertrauen schafft, zentral. Hier lohnt es sich, wichtige Informationen bereits auf der Website zu geben und auch einmal im Vorfeld zu testen, ob meine Zielgruppe auf meine Website versteht.

CP: Eine Praxishomepage sieht ja in vielen Fällen ähnlich aus und hat ähnliche Inhalte. Gleichzeitig dürfen Zahnärzte aus berufsrechtlichen Gründen auch nicht anpreiserisch für sich und ihre Praxis werben. Gelten hier die gleichen ästhetischen Kriterien wie bei „normalen“ Homepages?
Thielsch: Websites von Praxen fallen ja in den Bereich der Selbstdarstellungsseiten. Hier kommt es besonders auf professionelles Auftreten an. Es gelten die gleichen Kriterien wie auch für andere Websites, aber die Konkurrenz ist groß, da gerade in diesem Bereich viel in gutes Webdesign investiert wird.

CP: Wie kann sich ein Zahnarzt von seinen Kollegen positiv absetzen?
Thielsch: Durch die richtige Mischung seriöser Präsentation von verständlichen Inhalten, die sich nahtlos in ein gut zu bedienendes modernes Design einfügen. Klingt nach einer Allgemeinaussage, ist aber viel schwerer, als man denken mag. Wenn die Website gut in Suchmaschinen zu finden ist, die Patienten freundlich anspricht und die wichtigsten Informationen schnell liefert, ist man so manchem Kollegen schon voraus. Kann man dann dem Websitebesucher noch einen Mehrwert bieten, vielleicht anschauliche Vorsorge-Informationen oder FAQs zu typischen Krankheitsbilder zum Download, wird die Webseite sicherlich gut ankommen.

CP: Haben Sie noch weitere Tipps?
Thielsch: Man sollte sich nicht scheuen Zeit, in die eigene Website zu investieren. Dies ist ein wichtiger Informationskanal – und womöglich der erste Eindruck, den jemand von der eigenen Praxis bekommt. Ähnlich, wie man sich bestimmt lange Gedanken über die Einrichtung und Ausstattung der Praxis macht, sollte man auch die Gestaltung der Website überlegt angehen. Ein professioneller Webdesigner kann hier sicherlich gute Dienste leisten und wird sich freuen, wenn man eigene Ideen über den Inhalt der Website einbringen kann. Es lohnt sich immer, auch einen ersten Entwurf einfach mal mit ein paar Personen aus der Zielgruppe zu testen und diese nach ihrer Meinung zu fragen. Eine perfekte Website wird man nicht erreichen können – aber bestimmt eine, die sehr vielen Besuchern gefällt.

CP: Herr Dr. Thielsch, herzlichen Dank für das ausführliche Interview!

Unser Literatur-Tipp:
Moshagen, M. & Thielsch, M. T. (2010). Facets of visual aesthetics. International Journal of Human-Computer Studies, 68 (10), 689-709. doi:10.1016/j.ijhcs.2010.05.006

Zum Autor:
Dr. Meinald T. Thielsch absolvierte ab 1999 das Studium der Psychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 2004 Diplom-Psychologe, absolvierte er von 2004 bis 2008 das Promotionsstudium Psychologie und Wirtschaftsinformatik und wurde 2008 zum Dr. phil. der Universität Münster. Seit 2004 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Arbeitseinheit psychologische Diagnostik.
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im PsyEval-Team ist Dr. Thielsch mit der Koordination der Evaluation und Qualitätssicherung im Fach Psychologie an der Universität Münster beauftragt. Außerdem war er Lehrbeauftragter an der Universität Bonn (WS 2009/10 sowie WS 2010/11) und der Fachhochschule Münster (SoSe 2011). Im WS 2011/12 ist Dr. Thielsch auch im Rahmen des europäischen Erasmus-Programs als Gastdozent an der Université de Fribourg in der Schweiz tätig. Darüber hinaus ist er als Gutachter für mehrere internationale Fachzeitschriften (u. a. International Journal of Human-Computer Studies, Behaviour & Information Technology, Interacting with Computers) aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind User Experience, Mensch-Computer-Interaktion, Diagnostik und Evaluation sowie Online-Forschung.

Titel der Dissertation von Dr. Meinald Thielsch: Ästhetik von Websites: Wahrnehmung von Ästhetik und deren Beziehung zu Inhalt, Usability und Persönlichkeitsmerkmalen.

Weitere Informationen erhalten Interessenten unter http://www.meinald.de [5]