Die Zahnbürste kann tatsächlich über die Zahnpasta herfallen und umgekehrt? Gibt’s nicht? Die aktuelle Ausstellung des Grafikers und Illustrators Christoph Niemann beweist das Gegenteil und wie absurd sich dem Thema genähert werden kann.
Von Christoph Ledder
Soviel Liebe und Zärtlichkeit zwischen Zahnbürste und Zahnpasta sieht man selten. Wie sinnlich diese beiden Alltagsdinge im Umgang miteinander sein können, zeigt die aktuelle Ausstellung „Unterm Strich“ von Christoph Niemann im Museum der Angewandten Künste in Wien.
Alles auf Kante in Amerika
In Waiblingen aufgewachsen und in Stuttgart studiert, zieht es den Grafiker und Illustrator in den 90er Jahren nach New York. Dort schlägt er sich mit Auftragsarbeiten durch und zählt schon bald „New York Times“, „The New Yorker“ oder auch das Magazin „Wired“ zu seinen Kunden.
Mittlerweile ist er mit seiner Frau und seinen Kindern nach Deutschland zurückgekehrt, sein Hauptkundenstamm in den USA ist allerdings geblieben. „Wer in Amerika arbeitet, muss damit leben, dass dort alles auf Kante geplant ist. Die Zeitpläne sind sehr eng und das schränkt das freie Arbeiten oft ein“, so Niemann.
Liebesakt als Titelbild
Bei der Zahnbürsten-Serie ist allerdings genau das Gegenteil passiert. Einschränkungen hat es hier nicht gegeben. Normale Alltagszenen, wie die zwischen Bürste und Pasta sind prägnant für das Gesamtwerk Niemanns. Festgehalten wurde der Liebesakt als Titelbild eines Sammelbandes des American Institute of Graphic Arts. „Das Spannende an dem Auftrag war, dass es keinerlei Vorgaben gab, an die ich mich halten konnte“, so Niemann.
Für den Grafiker und Illustrator also eine große Herausforderung, zumal es die 20. Ausgabe des Bandes mit dem Titel „American Illustration XX“ gewesen ist. In der heutigen Zeit, in der alle Bereiche bis ins kleinste Detail durchsexualisiert sind, ist der Zusammenhang zwischen der römischen Zahl und der Pornographie dahinter schnell hergestellt.
Nicht mit der Tür ins Haus fallen
„Die Kunst bei der Gestaltung des Bildes war es, das Pornographische zu umgehen und nicht mit dem nackten Zeigefinger auf das Thema Sex aufmerksam zu machen“, erzählt Niemann. Egal ob in den Medien oder im Alltag – die Flut an sexualisierten Bildern lasse einen nichts mehr sehen. „Deshalb wollte ich mit der Zahnbürste und der Zahnpasta neue Inhalte und auch etwas Absurdes schaffen, um mit Blick auf Sex nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen“, so Niemann.
Der Prozess mit neuen Illustrationen neue Inhalte zu schaffen, sei jedoch sehr langwierig. Spezielle „Aha-Erlebnisse“ gibt es bei Niemann nicht. Vielmehr kommt es dem Künstler darauf an, den Wust der verworrenen Bilder auf ein Minimum zu reduzieren.
Aha-Effekt beim Betrachter
„Der Aha-Effekt soll sich vielmehr beim Betrachter einstellen, als beim Künstler“, so Niemann. In seinen Werken geht es hauptsächlich darum, beim Betrachter eine Erwartungshaltung aufzubauen und die Erwartung dann zu enttäuschen. Bei der berühmten „Zigarette danach“ zwischen der Zahnbürste und der Zahnpasta, bekommt der Betrachter allerdings genau diese Erwartung serviert, nur auf eine sehr abstrakte Art.
Niemann bringt es mit der Illustration auf den Punkt, jeder weiß sofort worum es geht. Warum soll auch nicht einmal gezeigt werden, dass die täglich im Mund stattfindende Leidenschaft zwischen den beiden Entspannung auf ganzer Linie ist.
Unterm Strich Szene des Alltags
Szenen des Alltags wie die zwischen Zahnbürste und Zahnpasta, sind in der aktuellen und ersten Ausstellung Niemanns noch bis zum 11.10.2015 zu sehen. Die anderen Arbeiten Niemanns sind zum Teil sehr politisch. Auffällig ist beispielsweise eine Illustration, die die Folter des Gefangenen von Abu-Ghuraib im Irak zeigt. Das Bild wurde von den Medien vor ein paar Jahren weltweit verbreitet.
Das Erfahren von Medien und wie die Menschen mit der Bilderflut umgehen, gehört auch zur Arbeit von Christoph Niemann. Vor Kurzem hat er seine „spezielle App für Kinder“ freigegeben. Mit Hilfe von 21 handgezeichneten animierten Tieren können Kinder die Tierwelt spielerisch entdecken. Die App „The Petting Zoo“ (Streichelzoo) ist sowohl für Android als auch für iOS erhältlich.
Auf der Webseite von Christoph Niemann bekommt man einen Einblick in sein Schaffen.