Recht: Patientenfälle im Internet diskutieren – geht das?

Zunehmend werden Patientenfälle im Internet, insbesondere in sozialen Medien, diskutiert. Dieser Trend betrifft nicht nur die Humanmedizin, sondern zunehmend auch die Zahnmedizin. Wenn das verantwortungsvoll und im Rahmen der Gesetze geschieht, ist das von Nutzen. Leider drohen einige Gefahren, sodass man sich an bestimmte Regeln halten sollte.

Wer Patientenfälle im Internet postet, muss bestimmte Regeln beachten. Foto: Fotolia/pix4U

Wer Patientenfälle im Internet postet, muss bestimmte Regeln beachten. Foto: Fotolia/pix4U


Zahnärztliche Haftung bei Fehldiagnose

Ein Zahnarzt postet ein Foto von einem Patienten mit einer Mundschleimhauterkrankung. Da er sich über Diagnose und Therapie nicht sicher ist, bittet er um Beratung. Schon nach kurzer Zeit kommen zahlreiche Ratschläge und Hinweise. Zwar sind sich die Antwortenden nicht einig, doch eine Mehrheit spricht sich für eine bestimmte Diagnose und Therapie aus. Der fragende Zahnarzt ist über die Hilfe sehr erfreut und befolgt die Meinung der Mehrheit.

Zahnmedizinische Gruppen auf Facebook – Risiken vorbeugen

So dürfte schon öfter viel Gutes getan und Patienten geholfen worden sein. Es wurde auch viel Geld und Zeit für die klassische Methode (Überweisung an einen oder mehrere Fachärzte) gespart. Manche würden von einer modernen Form des Konsils sprechen.

„Diskussionen in den sozialen Medien müssen verantwortungsvoll und im gesetzlichen Rahmen geschehen.“

Die Geschichte kann aber auch anders weiter gehen: Die Mehrheit der Berater im Internet hatte unrecht: Hinter der scheinbaren Mundschleimhauterkrankung verbarg sich nämlich ein bösartiger Tumor, der viele zu lange nicht erkannt wurde, weil der Zahnarzt sich streng an die Empfehlung der Mehrheit hielt. Dies ist nicht nur für den Patienten bitter, sondern sehr schnell auch für den Zahnarzt. Sollte er nämlich wegen eines Behandlungsfehlers vor Gericht erscheinen müssen, wird ihm der Verweis auf eine Beratung im Internet wenig nützen. Hätte er den Patienten zu einem Arzt für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie oder zu einem Dermatologen überwiesen, wären nicht nur die Chancen für den Patienten besser gewesen, sondern auch seine Verteidigungsmöglichkeiten. Ein Verweis auf eine größere Gruppe selbst ernannter Fachleute, deren Qualifikation nicht sicher bekannt ist und die wohl kaum eine Verantwortung für ihre Beratung übernehmen wollen, hilft forensisch wenig. Insofern passt der Vergleich mit einem Konsil nicht.

Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht

Es gibt aber noch weitere Gefahren bei einer Diskussion von Patientenfällen im Internet. Wenn man nicht aufpasst, kann man gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen. Es liegt auf der Hand, dass man den Namen des Patienten nicht nennen darf und ins Internet gestellte Unterlagen streng darauf kontrollieren muss, ob nicht zum Beispiel im Dateinamen doch der Name des Patienten auftaucht. Aber selbst wenn man dies alles beachtet hat, könnte es noch zu einer Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht kommen: Es gibt nämlich durchaus ungewöhnliche Zahnveränderungen, die auch von Laien wiedererkannt werden. Da ja meist auch der Name des behandelnden Zahnarztes bekannt ist, können möglicherweise manche Nachbarn, Freunde oder Arbeitskollegen erschließen, um wen es geht. Der Paragraf 203 Strafgesetzbuch bedroht eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht mit Freiheitsstrafe.

Unerlaubte Werbung im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes

Das nächste Problem ist eine unerlaubte Werbung im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes. Hierunter fällt zunächst die absichtliche Werbung für Medikamente, Implantatsysteme oder sonstige Behandlungen. Viele Zahnärzte werden beim obigen Beispiel der Mundschleimhauterkrankung die von ihnen seit Jahren erfolgreich verwendete Salbe mit bestem Gewissen empfehlen. Es gibt aber auch als Kollegenrat getarnte Werbung des Herstellers der Medikamente oder des Implantatsystems. Nicht selten werden gutgläubige Zahnärzte auch dazu gebracht, „wissenschaftliche Gutachten“ zu posten, die auf Betreiben der Hersteller geschrieben wurden. Das Heilmittelwerbegesetz fasst den Begriff der Werbung sehr weit und bedroht eine irreführende Werbung in Paragraf 14 mit Freiheitsstrafe.

Patienten werden verunsichert

Ein weiteres Problem der Diskussion von Patientenfällen im Internet sind Patienten, die dadurch verunsichert werden. Nicht selten sind nämlich Patienten offen oder verdeckt Mitglieder solcher Diskussionsforen. Sie fangen zum Beispiel nach der beschriebenen Diskussion über die scheinbare Mundschleimhauterkrankung an, sich selbst zu untersuchen. Nicht selten „entdecken“ sie dann an sich selbst schreckliche Erkrankungen. Oder sie brechen eine sinnvolle Behandlung ab, weil sie ja im Internet gelesen haben, dass ein scheinbar identischer Fall auf andere Weise erfolgreich behandelt wurde.

Fachliche Blamage kann drohen

Schließlich kann es passieren, dass man sich mit seinem gut gemeinten Ratschlag fachlich blamiert. Es ist schon wiederholt vorgekommen, dass sich ein Fall im Laufe der Diskussion und eventuell nach Vorlage weiterer Befunde ganz anders darstellt, sodass die ersten Empfehlungen nun als peinlich empfunden werden. Und: Das Internet vergisst nicht …

Trotz aller genannten Gefahren und Probleme sind Diskussionen von Patientenfällen mit Kollegen im Internet grundsätzlich eine sinnvolle Sache. Es kommt nur darauf an, einige Regeln zu beachten:

  • Achten Sie streng auf die ärztliche Schweigepflicht. Es muss absolut sicher sein, dass niemand auf die Identität des Patienten schließen kann.
  • Folgen Sie Empfehlungen nur, wenn Sie davon selbst überzeugt sind und nicht weil eine Mehrheit dahinterstand. Im Zweifel überweisen Sie an einen Fachkollegen.
  • Geben Sie Ratschläge nur, wenn Sie davon selbst überzeugt sind. Geben Sie Gutachten nur weiter, wenn diese sicher aus seriösen Quellen stammen.
  • Posten Sie Patientengeschichten nur in geschlossenen Foren, an denen nachprüfbar nur Fachkollegen teilnehmen.
  • Gehen Sie mit den Kollegen und den Patienten so respektvoll um, wie Sie es auch in einem „echten“ Konsil tun würden.

RA Dr. Wieland Schinnenburg, Hamburg

 

RA Dr. Wieland Schinnenburg

RA Dr. Wieland Schinnenburg

Zu unserem Autor:

RA Dr. Wieland Schinnenburg ist Zahnarzt und Fachanwalt für Medizinrecht in Hamburg.
Kontakt: www.rechtsanwalt-schinnenburg.de

 

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