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LAG Hessen: Überstundenanspruch einer ZFA

Michael Lennartz (Foto: privat) [1]

Michael Lennartz (Foto: privat)

Lehrreich ist ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgericht (LAG) vom 30. Juni 2011 (14 Sa 29/11 [2]), das sich mit der Überstundenabgeltung von zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) beschäftigt. Die Entscheidung zeigt, dass es für einen Praxisinhaber empfehlenswert ist, klare Regelungen zur Ableistung von Überstunden im Arbeitsvertrag zu fixieren. Ein Arbeitgeber darf zwar aufgrund seiner Weisungsbefugnis Überstunden anordnen, wenn dies der betriebliche Ablauf erfordert und die Ableistung der Überstunden für den Arbeitnehmer nicht unzumutbar ist. Das Recht zur Anordnung von Überstunden sollte aber gleichwohl konkretisiert werden, wobei es sich auch sehr empfiehlt, das Verfahren zur Festlegung von Überstunden (zum Beispiel nur bei ausdrücklicher Anordnung und späterer Quittierung) festzulegen.

Der Fall:

In dem vom LAG Hessen zu entscheidenden Fall forderte eine ZFA nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die Zahlung von restlichen Überstunden in Höhe von 7.514,88 Euro ein (Zeitraum 01/2008-12/2009). Hierzu legte die ZFA eine Aufstellung vor, in der jeweils Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit enthalten war (auch mit Zeiten der Mittagspause).

Seitens des Zahnarztes wurde die Aufstellung der ZFA bestritten, wobei u. a. ausgeführt wurde, dass seit August 2008 die Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter mit einem Zeiterfassungsgerät dokumentiert wurden.

Entscheidung der Vorinstanz – kein Überstundenanspruch

In der Vorinstanz kam das Arbeitsgericht Wetzlar in seinem Urteil vom 27. Oktober 2010 (2 Ca 91/10) zu dem Ergebnis, dass der ZFA kein Überstundenanspruch zustand. Die ZFA habe nicht im Einzelnen dargelegt, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten sie über die übliche Arbeitszeit hinaus tätig geworden sei. Sie habe auch nicht dargelegt, ob sie Arbeitsleistungen erbracht habe. Mangels konkretem Sachvortrag reiche ein pauschales Bestreiten des Arbeitgebers aus. Die ZFA habe insbesondere auch keine hohe Wahrscheinlichkeit für die von ihr behauptete angefallene Arbeitszeit dargelegt.

Die Entscheidung:

Im Arbeitsvertrag sollten klare Regelungen zur Ableistung von Überstunden fixiert werden. Foto: Gerd Altmann / <a title="pixelio.de" href="http://pixelio.de">pixelio.de</a> [3]

Im Arbeitsvertrag sollten klare Regelungen zur Ableistung von Überstunden fixiert werden. Foto: Gerd Altmann / pixelio.de [4]

Das LAG Hessen gab der von der ZFA eingelegten Berufung teilweise statt. Grundsätzlich habe ein Arbeitnehmer, der die Vergütung von Überstunden fordere im Einzelnen darzulegen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat. Dem Arbeitgeber obliege es sodann, dem Vortrag substantiiert entgegenzutreten. Bei entsprechenden Ausführungen des Arbeitgebers sei es anschließend Sache des Arbeitnehmers im Einzelnen Beweis für die geleisteten Stunden anzutreten.

Die ZFA habe diese Darlegungslast zunächst erfüllt, da sie im Einzelnen angegeben habe zu welchen Tageszeiten sie über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet habe. Diesem Vortrag sei der Zahnarzt jedenfalls für den Zeitraum ab August 2008 substantiiert entgegengetreten, wobei sich aus der vorgelegten Zeiterfassung die Anwesenheitszeiten der ZFA in der Praxis ergeben hätten. Nach Auswertung der Zeiterfassung ermittelte das LAG Hessen für das Jahr 2008 99,75 Überstunden und für das Jahr 2009 256,50 Überstunden.

Duldung der Überstunden

Hinsichtlich der Auszahlung dieser Überstunden macht das LAG Hessen deutlich, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Zahlung von Überstunden voraussetze, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder dass sie zur Erlangung der geschuldeten Arbeit notwendig waren.

Seitens der ZFA sei vorgetragen worden, dass im Umfang von 356,25 Stunden die Duldung von Überstunden durch den Zahnarzt erfolgt sei. Dem Arbeitgeber sei auch bekannt gewesen, dass die ZFA bereits vor der Praxisöffnung im Betrieb anwesend war (u. a. für Vorbereitungsarbeiten). Der Zahnarzt habe jedenfalls in dem Zeitraum, in dem die ZFA alleine im Betrieb bis 8 Uhr anwesend war, Arbeitsleistungen nicht kontrollieren können. Andererseits habe er die Anwesenheitszeiten vor Praxiseröffnung und während der im Zeiterfassungsgerät erfassten Zeiträume zur Kenntnis genommen und über lange Zeiträume geduldet.

Kenntnis geleisteter Mehrstunden

Der Zahnarzt konnte vor dem LAG Hessen auch nicht mit der Argumentation vordringen, dass die ZFA ihre Anwesenheitszeiten im Wesentlichen mit Ankleiden verbracht hätte. Zwar handele es sich bei diesen Zeiten nicht um zu vergütende Hauptleistungspflichten des Arbeitnehmers. Im konkreten Fall beschränke sich diese Zeit aber auf das schlichte Anlegen eines Kittels, was jedenfalls zeitmäßig allenfalls in Sekunden zu messen wäre.

Das vom Zahnarzt eingesetzte Zeiterfassungsgerät diene dazu, An- und Abwesenheitszeiten genau zu erfassen. Es sei widersprüchlich, wenn der Zahnarzt einerseits die Ableistung von Mehrarbeit bestreite, andererseits eine Zeiterfassung einführe, aus der sich jedoch die regelmäßige Arbeitsleistung von Mehrarbeit ableiten lasse. Damit habe er Kenntnis von den geleisteten Mehrarbeitsstunden, sodass von einer Duldung der Ableistung von Mehrarbeit ausgegangen werden könne.

Der Zahnarzt habe sich auch nicht darauf berufen können, dass die ZFA zwar möglicherweise anwesend gewesen sei, jedoch während dieser Zeiten keine Arbeitsleistung erbracht hätte. Es sei Sache des Zahnarztes, der ZFA während ihrer Anwesenheitszeit Arbeit zuzuweisen. Soweit die Arbeitsleistungen nicht erbracht würden, stünde ihm die Möglichkeit der Abmahnung zur Verfügung, wobei es auch unbenommen sei, konkrete Nichtleistungszeiten während der Anwesenheitszeit vorzutragen und diese in Abzug zu bringen.

Bei den darüber hinaus geltend gemachten Überstunden für den Zeitraum von Januar 2008 bis 15. August 2008 (Anm.: bis zur Zeiterfassung) würden sich aus den wechselseitigen Aufstellungen sowohl der ZFA als auch des Zahnarztes erhebliche Differenzen ergeben, die mal zu Gunsten der ZFA und mal zu Gunsten des Zahnarztes ausfielen. Damit fehle es jedoch an einem substantiierten Vortrag der ZFA, aus dem sich folgern ließe, dass sie zeitnah eine entsprechende Aufstellung geführt hat.

Im Ergebnis kommt das LAG Hessen zu dem Schluss, dass die ZFA 356,25 Überstunden geleistet hatte, die mit 3.751,31 Euro abzugelten waren.

Anmerkung:

Wie bereits einleitend ausgeführt, empfiehlt es sich für Arzt- und Zahnarztpraxen klare Regelungen für Überstunden und zur Überstundenvergütung festzulegen. Vorliegend wäre es mit Sicherheit nicht zu den Differenzen gekommen, wenn die konkret angeordneten Überstunden jeweils zeitnah vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer dokumentiert worden wären. Bei der Einführung von Zeiterfassungsgeräten muss es einem Arbeitgeber auch klar sein, dass er ggf. Überstunden zu bezahlen hat, wenn Arbeitnehmer vor dem eigentlichen Dienstbeginn am Arbeitsort erscheinen und er dies über einen längeren Zeitraum widerspruchslos akzeptiert.
RA Michael Lennartz, Kazemi & Lennartz Rechtsanwälte, Bonn

www.heilberuferecht.eu [5]