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Ist doch voll uncool – oder: Tacheles reden mit Jugendsprech

Feensprache kommt bei Kleinkindern gut an, bei Jugendlichen nicht so. Ich finde auch die Zähne von Pubertierenden süß, aber das darf ich keinesfalls laut sagen. Ist doch voll uncool. Wer mich nicht cool findet, der hört auch nicht auf mich.

Wenn ich einem 14-Jährigen mitteile, dass seine Mundhygiene unter aller Sau ist, kann ich ihm weder märchenhaft mit „Karius und Baktus“ kommen noch ihm einen akademischen Vortrag halten – beides wird er nicht verstehen. Deswegen brauche ich eine weitere Sprachausbildung: Jugenddeutsch!

Zum Glück bin ich noch jung genug, dass man mir den lässigen Sprachstil abkauft. In Zeiten, in denen ich mich doch mal zu alt fühle, höre ich dann einfach den Unterhaltungen meiner Azubis zu – dann bin ich sprachlich auf dem neuesten Stand. Wie hirnlos und direkt Sprache doch sein kann!

„Deine Zähne sehen aus wie Kühe – braun-weiß gefleckt und schmutzig.“ Ein schöner Satz. Mit Bildern kann man Patienten motivieren, besonders die, die bei Standardsätzen wie „Du hast viele Beläge auf den Zähnen“ oder „Du musst besser putzen“ sofort auf Durchzug schalten.

Meistens sind es ja die ultracoolen Patienten, besonders Jungs, denen alles andere wichtiger ist als eine gute Mundhygiene. Wenn diese unterkühlten Personen auf dem Behandlungsstuhl meinen Kragen zum Platzen bringen, haue ich auch schon mal Sätze heraus wie „Hast du eine Freundin oder wünscht du dir eine? Mit den Zähnen bekommst du bestimmt keine.“

Manchmal bekomme ich eine Reaktion, etwa Achselzucken. Manchmal sehen sie dich auch an wie ein geschorenes Schaf, das ohne Vorwarnung seiner Wohlfühlzone beraubt wurde. Eine wirklich passende oder kluge Antwort darauf habe ich bis jetzt noch nicht gehört.

Wenn nicht mal ein „Tschüss“ ertönt vom hastig aufstehenden Jugendlichen mit Multiband, dann würde ich ihm am liebsten nachrufen: „Dann leb‘ doch weiter mit deinen fleckigen Kuhzähnen! Hauptsache, sie sind gerade.“

Aber es gibt auch Lichtblicke. Pubertierende sind nicht immer beratungsresistent. Wenn Tacheles geredet wird, verstehen die meisten, was sie falsch machen und warum sie etwas ändern sollten. Ausgedruckte Bilder mit schlimmen Entkalkungen nach Multiband, die teilweise eingebrochen sind, kommen enorm gut an. Ihnen auch ihre Beläge und kariösen Stellen auf jedem betroffenen Zahn im Spiegel zu zeigen, wirkt besser, als nur davon zu erzählen.

Bei Füllungen an pubertären Zähnen kann ich Jugendlichen nicht mit meinen „Zaubertropfen“ kommen – Spritze ist Spritze. Das Leben ist hart. Verhätschelt wird bei mir ab einem bestimmten Alter nicht mehr. Das sehe ich gar nicht ein. Mein Beruf als Zahnmagier für die Kleinen ändert sich nun schlagartig zum blank-ehrlichen Zahnarzt für die Halbstarken.

Wer mit dreizehn Jahren bei der Spritze weint, darf sich nicht Jugendlicher nennen, sondern Pussy. Hier ist nun meine Jugendsprache. Wer von seiner Mutter im Behandlungszimmer wegen der miesen Mitarbeit und der Null-Bock-Stimmung lautstark angebrüllt wird, der verdient nichts anderes als „Beef“. Der Durchzug ist jedoch oftmals dann „online“.

In solchen Extremsituationen, die zum Glück selten vorkommen, helfen keine Sprachkünste mehr. Als Zahnarzt einfach aufstehen und gehen. Natürlich noch „auf Wiedersehen“ sagen, man hat ja Manieren. Bei kompletter Behandlungs- und Beratungsresistenz sind mir meine Worte nach einer gewissen „Zurede-Zeit“ zu schade. Dann will ich wieder Zahnmagier sein und leichtfüßig von Schlürfis und Marmelade erzählen. Manchmal ist das Leben sonst zu hart.

Umso schöner sind die Momente, in denen Jugendliche dankbar sind. Wenn sie „Danke“ sagen und die Sache mit den Zähnen wirklich ernst nehmen. Dann macht meine Arbeit wieder Spaß. Ich werde gebraucht und kann helfen.

Freundlich, aber direkt und schnörkellos – das verstehen junge Leute. Auch tierische Bildsprache zeigt gute Wirkung: Wenn das Kuh-Thema durch ist, sind Hasen- und Vampirzähne immer noch der Klassiker. Aber Vorsicht: Der Grad zur Beleidigung ist leider schmal. Auch wenn „Oralferkel“ durchaus der Wahrheit entspricht.

Aber man darf es sich immerhin noch denken dürfen. Einigen Pubertierenden würde die blanke Wahrheit nicht schaden. Mal sehen, vielleicht erweitere ich meinen Wortschatz ja noch um ein paar tierische Begriffe.