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Haftung bei Hygieneverstößen – Auch in stressigen Situationen auf die strikte Einhaltung von Hygienemaßnahmen achten

Mit Überschriften wie „Hygienemangel ist der neue Ärztepfusch“ (Spiegel Online, 6. Juni 2012) oder „Wann haftet die Klinik für Hygienefehler?“ (Wirtschaftswoche, 12. Februar 2014) wird bei Patienten der Eindruck vermittelt, dass es mit der Hygiene in deutschen Arztpraxen nicht besonders gut bestellt ist. Tatsächlich existiert eine Vielzahl an aktiven und passiven Hygienevorschriften, sodass Hygienemängel eigentlich keine Rolle spielen dürften.

Foto: ProDente e.V. [1]

Foto: ProDente e.V.

Trotz oder möglicherweise wegen der Vielzahl an Regelungen steigt die Zahl der Haftungsfälle, ausgelöst durch den Vorwurf einer mangelhaften Hygiene, in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Sicherlich spielt die Sensibilisierung der Bevölkerung durch entsprechende Pressemeldungen für das Thema Hygiene hierbei eine gewichtige Rolle. Selbstverständlich lässt sich nicht jede Infektion von Patienten in der Praxis vermeiden. Allerdings führt auch nicht jede Infektion zu einer Haftung des Praxisinhabers. Eine absolute Keimfreiheit von Zahnarzt, Personal und Behandlungsräumen lässt sich letztlich nicht gewährleisten, sodass eine Keiminfektion dann nicht als Behandlungsfehler anzusehen ist, wenn sie sich unter nicht beherrschbaren Umständen vollzieht und trotz Einhaltung der Hygienevorschriften auftritt.

Haftungsrechtlich relevant wird die Keiminfektion immer dann, wenn die Hygienevorschriften nicht eingehalten wurden, und so der erforderliche hygienische Standard in einer Praxis nicht eingehalten wird. Was als hygienischer Standard anzusehen ist, ergibt sich beispielsweise aus der Wissenschaftlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde in der aktuellen Fassung. Kommt es zu einer Unterschreitung oder Verstoß gegen diese Vorschriften mit der Folge einer Patienteninfektion, wird sich der Zahnarzt schnell einer Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegenübersehen. Bei einer solchen Haftungsklage, aufgrund eines Verstoßes gegen Hygienevorschriften, existieren einige Besonderheiten, die jedem Zahnarzt bewusst sein sollten.

Wann wird der hygienische Standard einer Praxis unterschritten?
Mit der Frage, wann der hygienische Standard in einer Praxis unterschritten wird, beschäftigte sich der Bundesgerichtshof beispielhaft mit Urteil vom 20. März 2007 (Az.: VI ZR 158/06). In dem konkreten Fall hatte eine Patientin in einer orthopädischen Praxis Spritzen in den Nackenbereich erhalten. In der Folgezeit entwickelten sich Spritzenabszesse, die einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt erforderlich gemacht hatten. Diese Spritzenabszesse beruhten auf einer Staphylokokken-Infektion.

Ausgangsträger der Keime war eine bei der Verabreichung der Spritzen assistierende Arzthelferin, die zu der Zeit an Schnupfen litt. Gleichartige Infekte traten zeitnah auch bei anderen Patienten der Praxis auf. Das eingeschaltete Gesundheitsamt beanstandete die Hygieneprophylaxe in der Praxis. Der Bundesgerichtshof wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Schädigung der Patienten in dem streitgegenständlichen Fall weder aus ihrer eigenen Sphäre – wie Risiken aus dem eigenen menschlichen Organismus – stamme, noch aus dem Kernbereich des ärztlichen Handelns herrühre. Vielmehr habe sich im Fall ein Risiko verwirklicht, welches aus einem Bereich stamme, dessen Gefahren ärztlicherseits objektiv voll ausgeschlossen werden könne und auch müsse. Es handele sich somit seitens des Arztes um voll beherrschbare Risiken.

Zwar müsse grundsätzlich im Bereich des ärztlichen Handelns der Patient den von ihm behaupteten Fehler und dessen Ursächlichkeit für den Schaden beweisen. Im Fall von Hygienemängeln realisiert sich jedoch ein Risiko, welches durch den Klinikbetrieb oder den Betrieb der Arztpraxis verursacht wird und damit durch eine sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens objektiv voll beherrscht werden könne. Steht daher fest, dass sich ein aus diesem Bereich stammendes objektiv voll beherrschbares Risiko verwirklicht hat, ist es vielmehr Sache des Arztes zu beweisen, dass es hinsichtlich des Pflichtverstoßes an einem Verschulden seinerseits fehlt. In dem konkreten Fall gelang dem Arzt der Entlastungsbeweis nicht, weshalb er zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 25.000 Euro verurteilt wurde.

Was aber versteht die Rechtsprechung unter einem „voll beherrschbaren“ Risiko? Gemeint sind solche Risiken, die nicht vorrangig aus den Eigenheiten des menschlichen Organismus erwachsen, sondern aus einem Bereich stammen, dessen Gefahren von der Seite des Arztes voll beherrscht und ausgeschlossen werden können und müssen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in mehreren Grundsatzentscheidungen mit der Haftung von Kliniken und Ärzten aufgrund mangelnder Hygiene befasst und kam überzeugend zu dem Schluss, dass ein Verstoß gegen Hygienevorschriften dem Bereich des „voll beherrschbaren Risikos“ zuzuordnen ist.

Ausführliche Hygienedokumentation hilft
Liegt ein Fehler aus dem voll beherrschbaren Risikobereich vor, kommt es zur Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Denn sobald der Infektionsfall dem hygienisch beherrschbaren Bereich zuzuordnen ist, und sich damit ein Risiko verwirklicht hat, welches durch eine sachgerechte Organisation objektiv vermeidbar war, muss der Arzt den Gegenbeweis antreten. Ein solcher Beweis gelingt nur dann, wenn er für das Hygieneproblem nicht verantwortlich war, zum Beispiel alle erforderlichen Vorkehrungen zur Vermeidung einer Infektion getroffen hatte. Ein solcher Beweis lässt sich letztlich nur dann antreten, wenn der Arzt über eine ausführliche Hygienedokumentation verfügt. Existiert diese nicht im gebotenen Umfang oder enthält nur Allgemeinplätze, welche keine besondere Aussagekraft haben, wird der Gegenbeweis in aller Regel scheitern.

Im nächsten Schritt hat der Patient zu beweisen, dass der Hygienemangel zu der Infektion geführt hat. Oft greift an dieser Stelle die nächste Beweiserleichterung zugunsten des Patienten ein, da der Verstoß als grober Behandlungsfehler eingestuft wird. Der Bundesgerichtshof definiert den groben Behandlungsfehler wie folgt:
„Ein grober Behandlungsfehler setzt nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordert auch die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“ (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2001, Az.:VI ZR 286/00).

Folge des groben Behandlungsfehlers ist die Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität zugunsten des Patienten. Kommt es im Rahmen des einzuholenden Sachverständigengutachtens zur Grobheit des Fehlers, muss nun der Arzt beweisen, dass ein Ursachenzusammenhang nicht besteht.

In folgenden Fällen wurde beispielhaft ein grober Behandlungsfehler angenommen:
• Vor der Kniegelenkpunktion nimmt der Arzt nur eine hygienische Desinfektion seiner Hände vor, nicht eine chirurgische (OLG Schleswig VersR 1990, 1121).
• Spritzenwechsel bei der Kniegelenkpunktion ohne sterile Handschuhe (OLG Düsseldorf VersR 2000, 1019).
• Legen von Blasenkathetern, deren Verfallsdatum um zwei bis drei Jahre überschritten ist (OLG Köln VersR 2003, 1444).
• Der aseptische Patient wird mit einem septischen Patienten zusammengelegt (OLG Koblenz 20. März 1991, Az.: 1 U 313/87).
Die Notärztin injiziert in den Hals-Schulter-Bereich („Quaddeln“) ohne jede Desinfektion (OLG Naumburg VersR 2010, 216).

Bei Hygienemängeln führt also deren Aufdeckung nahezu automatisch zur Haftung des Arztes, der für die Einhaltung der geltenden Standards organisatorische Vorkehrungen treffen muss. Denn sobald der Infektionsfall dem hygienisch beherrschbaren Bereich zuzuordnen ist und sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das durch den Arzt gesetzt wurde und durch sachgerechte Organisation objektiv vermeidbar war, kommt dem Patienten eine enorme Beweiserleichterung zugute. Wie dargestellt, ist es dem Arzt in diesem Fall faktisch nicht möglich, sich effektiv gegen den Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld zu verteidigen.

Fazit
Vorstehende Darstellung zeigt, welche Bedeutung der Einhaltung und Überwachung von Hygienevorschriften in der zahnärztlichen Praxis zukommt. Anders als bei „klassischen“ Haftungsfällen ist der Zahnarzt in seinen Möglichkeiten aufgrund der Vielzahl von Beweiserleichterungen zugunsten der Patienten arg eingeschränkt.
Sicher ist, dass ein Zahnarzt nicht wissentlich gegen Hygienevorschriften verstößt, dennoch kann es verständlicherweise in der Hektik und Stress des Praxisalltags dazu kommen, dass einzelne Hygienevorschriften nicht ganz so genau beachtet werden. Um dies zu vermeiden, empfiehlt es sich, Hygienerichtlinien in das praxiseigene QM-System zu integrieren und Mitarbeiter umfassend zu schulen, um auch in stressigen Situationen eine strikte Einhaltung von Hygienemaßnahmen gewährleisten zu können. Besonderes Augenmerk ist auch – wie so oft – auf die Dokumentation zu legen. Nicht nur, dass in jeder Praxis eine aussagekräftige Hygienedokumentation existieren sollte, auch Abweichungen von Leitlinien sollten gesondert dokumentiert werden. So kann nachgewiesen werden, dass der Behandler die Leitlinien einhält, aber aus gutem Grund im konkreten Fall davon abgewichen ist.
Lässt sich dennoch nicht vermeiden, dass es zu einer Keiminfektion bei Patienten, hervorgerufen durch einen Hygienemangel in der Praxis kommt, ist der rechtzeitige Gang zu einem in arzthaftungsrechtlichen Auseinandersetzungen erfahrenen Anwalt dringend anzuraten. Dieser kann das prozessuale Risiko eines Prozesses bewerten und über alternative Lösungsmöglichkeiten beraten. Denn letztlich ist für den Ruf eines Zahnarztes kaum etwas schädlicher als die gerichtliche Feststellung von Hygienemängeln in der Praxis.
RA Guido Kraus, Bad Homburg

Zum Autor:

RA Guido Kraus [2]

RA Guido Kraus

Rechtsanwalt Guido Kraus ist für die Kanzlei Lyck & Pätzold Medizinanwälte tätig, wo er Leistungserbringer im Medizinrecht betreut. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen unter anderem die Bereiche Wirtschaftlichkeitsprüfung, Regelleistungsvolumen, Honorarkürzungen, Regresse, Plausibilitätsprüfungen, als auch alle Abrechnungsfragen nach EBM/BEMA und GOÄ/GOZ. Darüber hinaus gilt sein Interesse dem Themenkomplex rund um das Arbeitsrecht, Gesellschafts- und Vertragsrecht, neben den Verhandlungen mit den Zulassungsausschüssen, Landeszahnärztekammern sowie Kostenträgern.
Kontakt: www.medizinanwaelte.de [3], kanzlei@medizinanwaelte.de [4]