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Emotionale Zurückhaltung – von Männern erwartet, bei Frauen suspekt

Eine aktuelle Studie zeigt, dass Männer als emotional kompetenter und intelligenter wahrgenommen werden, wenn sie mit ihren Gefühlen zurückhaltend sind. Für Frauen aber gilt das Gegenteil. Zu diesem Schluss kommt ein Team von Psychologen aus Berlin und Haifa in zwei Experimenten, in denen 117 Probanden emotionale Reaktionen von Männern und Frauen bewerteten. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Emotion“ veröffentlicht.

Männer werden als emotional kompetenter und intelligenter eingeschätzt, wenn sie verzögert reagieren. (Foto: Fotolia/olly) [1]

Männer werden als emotional kompetenter und intelligenter eingeschätzt, wenn sie verzögert reagieren – Frauen nicht. (Foto: Fotolia/olly)

Eine Person wird als „emotional zurückhaltend“ bezeichnet, wenn sie ihre Reaktion auf emotionsauslösende Situationen kaum oder nur verzögert zeigt. Emotionale Zurückhaltung, oft auch als ‚männliche Emotion‘ bezeichnet, gilt in modernen westlichen Gesellschaften als eine wichtige kulturelle Norm, für Frauen wie Männer gleichermaßen.

Die Originalstudie finden Sie hier: Hess, U., David, S., & Hareli, S. (2016)
Emotional Restraint is Good for Men Only: The Influence of Emotional Restraint on Perceptions of Competence [2].
Emotion, 16, 2, 208-213.

„Wir haben in zwei Experimenten untersucht, inwieweit emotionale Zurückhaltung bei Traurigkeits- und Wutreaktionen als ein Zeichen von emotionaler Kompetenz und allgemeiner Intelligenz wahrgenommen wird“, sagt Ursula Hess, Professorin für Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Männliche Emotionen als Norm in der modernen westlichen Welt?

In einem ersten Experiment untersuchten die Forscher, wie sich die emotionale Zurückhaltung einer Person auf die Wahrnehmung ihrer emotionalen Kompetenz auswirkt.
Sie zeigten 59 Probanden Bilder von emotionsauslösenden Reizen und Videos von Personen, die auf diese Reize reagieren. Zuerst wurde den Probanden fünf Sekunden lang ein Bild gezeigt, das sowohl Traurigkeit als auch Wut auslösen kann (zum Beispiel eine geprügelte Frau, geschlachtete Robben). Unmittelbar danach sahen die Probanden ein vier Sekunden langes Video, in dem ein Mann oder eine Frau entweder mit Traurigkeit oder mit Wut auf das zuvor gezeigte Bild reagierte. Die Videos starteten mit einem neutralen Gesichtsausdruck, aus dem heraus sich eine traurige oder wütende Emotion entwickelte. Die emotionalen Reaktionen zeigten sich schnell (0,5 Sekunden) oder langsamer (1,5 Sekunden) nach Ausblenden des Bildes. Dadurch sollte der Eindruck entstehen, dass die Person im Video ihre Emotion entweder sehr spontan äußert oder eben „emotionale Zurückhaltung“ übt, indem sie verzögert reagiert. Die Probanden bewerteten im Anschluss jeweils, wie emotional intelligent, empfindsam und gesellig die Person im Video ist und wie authentisch und angemessen ihre Reaktion ist.

In einem zweiten Experiment wollten die Forscher wissen, wie sich die emotionale Zurückhaltung einer Person auf die Wahrnehmung ihrer Intelligenz auswirkt. Dafür ließen sie 58 Probanden die gleichen Bilder und Videos betrachten wie im ersten Experiment. Die Probanden bewerteten im Anschluss wieder jeweils die Reaktion der Person im Video und ihre emotionale Kompetenz. Zusätzlich gaben sie an, wie intelligent sie die Person einschätzten.

Männer punkten mit emotionaler Zurückhaltung

Die Analysen zeigen: Männer werden als emotional kompetenter und intelligenter eingeschätzt, wenn sie verzögert reagieren. Diese Reaktionen werden auch als authentischer und angemessener bewertet als unmittelbare Reaktionen. „Für Männer scheint sich also die Auffassung zu bestätigen, dass emotionale Zurückhaltung auf gutes Urteilsvermögen hinweist, da es sowohl die Wahrnehmung von emotionaler Kompetenz als auch die Wahrnehmung der allgemeinen Intelligenz beeinflusst“, schlussfolgert Ursula Hess.

Emotionale Spontanität von Frauen erwartet

Für Frauen ergibt sich das entgegengesetzte Muster. Frauen, die unmittelbar reagieren, werden als emotional kompetenter und intelligenter erachtet als Frauen, die verzögerte Reaktionen zeigen. Unmittelbare Reaktionen werden zudem als angemessener und authentischer bewertet als verzögerte Reaktionen. Eine mögliche Erklärung sehen die Autoren darin, dass Frauen allgemein als emotional kompetenter bewertet werden und weniger dazu in der Lage, ihre Emotionen zu kontrollieren. Bezogen auf die Ergebnisse heißt das, dass verzögerte Reaktionen bei den eigentlich emotional kompetenteren Frauen als unnatürliche und strategische Reaktionen bewertet werden.
„Für Männer und Frauen gilt gleichermaßen: werden ihre Emotionen als authentisch und angemessen bewertet, werden sie als emotional kompetent wahrgenommen“, fasst Ursula Hess die Ergebnisse zusammen. „Der Unterschied liegt in dem Verhalten, das als authentisch und angemessen bewertet wird: bei Männern ist es die emotionale Zurückhaltung, bei Frauen die emotionale Spontaneität. Man kann also sagen, dass männliche Emotionen tatsächlich nur für Männer gut sind.“