Bundesverfassungsgericht bestätigt Liberalisierung des Zentrumsbegriffs – Keine pauschalen berufsrechtlichen Verbote mehr für Zahnärzte

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Das Bundesverfassungsgericht ist für die Aufnahme des Begriffs „Medizinisches Versorgungszentrum“ in das Sozialgesetzbuch. Foto: Gerd Altmann / pixelio.de

Mit Beschluss vom 7. März 2012 (Az.: 1 BvR 120911) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine liberale Rechtsprechung zum (zahn)ärztlichen Werberecht bestätigt und betont, dass der bereits mit Beschluss vom 9. Februar 2005 (Az.: 1 BvR 2751/04) festgestellte Bedeutungswandel nicht nur für Tierarztpraxen, sondern allgemein bezüglich des Zentrumsbegriffs gelte. Insbesondere sei in diesem Zusammenhang die Aufnahme des Begriffs „Medizinisches Versorgungszentrum“ in das Sozialgesetzbuch V (SGB V) zu berücksichtigen. Es dränge sich geradezu auf, dass diese gesetzliche Definition auch Rückwirkungen auf das Verständnis des allgemeinen Begriffs des „Zentrums“ auf ärztlichem oder zahnärztlichem Gebiet haben könne.

 

Auch wenn also nach wie vor einige Berufsordnungen (Zahn-)Ärzten eine entsprechende Begrifflichkeit bereits grundsätzlich verbieten, steht dies einer entsprechenden Bezeichnung im Einzelfall nicht entgegen. Denn eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, muss auch einem Arzt oder Zahnarzt zur Beschreibung seiner beruflichen Tätigkeit möglich sein.

 

Ausgangslage

Hintergrund des Verfahrens war nach gerichtlicher Würdigung die Bezeichnung der Gemeinschaftspraxis der zahnärztlichen Beschwerdeführer als „Zentrum für Zahnmedizin“. Trotz entsprechender Größe, Einzugsbereich, Patienten- und Zuweiserstamm sowie einer Vielzahl angestellter Zahnärzte untersagten sowohl das Landgericht Berlin als auch das Kammergericht den betroffenen Zahnärzten diese Begrifflichkeit. Die Gerichte verwiesen unter anderem auf Paragraf 19 Absatz 3 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Berlin, wonach die Bezeichnung als „Zentrum“ einer Berufsausübungsgemeinschaft grundsätzlich nicht erlaubt ist, und stützten sich auf eine Begriffsdefinition, die neben der Größe und Bedeutung einer Einrichtung unter anderem auf deren „Mittelpunktfunktion hinsichtlich der angebotenen Leistungen innerhalb eines gewissen räumlichen Bezirks“ abstellte. Den Einwänden der betroffenen Zahnärzte, das BVerfG habe bereits im Jahr 2005 einen allgemeinen Bedeutungswandel des Zentrumsbegriffs festgestellt, wollte sich das Kammergericht nicht anschließen und verneinte einen Bedeutungswandel zumindest im Bereich der zahnärztlichen Versorgung. Die Ausführungen des BVerfG aus dem Jahr 2005 seien vielmehr auf die Besonderheiten tierärztlicher Praxen, die der damaligen Entscheidung zugrunde lagen, zurückzuführen gewesen. Der Begriff des „Zentrums“ sei jedoch nach wie vor eng zu verstehen, was gleichzeitig durch den entsprechenden Verbotstatbestand der Berliner Berufsordnung bestätigt werde.

 

Pauschales Verbot unzulässig

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Sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen, müssen auch einem Arzt oder Zahnarzt zur Beschreibung seiner beruflichen Tätigkeit möglich sein. Foto: Peter Smola / pixelio.de

Dem ist das Bundesverfassungsgericht nunmehr mit Beschluss vom 7. März 2012 entgegengetreten. Die Richter stellten zunächst fest, dass das absolute Verbot in Paragraf 19 Absatz 3 der Berliner Berufsordnung in verfassungskonformer Weise einschränkend auszulegen ist. Denn eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, muss auch einem Arzt oder Zahnarzt zur Beschreibung seiner beruflichen Tätigkeit möglich sein. Das absolute Verbot der Bezeichnung als „Zentrum“ entsprechend der Berliner Berufsordnung ist damit nicht vereinbar.

 

Anknüpfungspunkte
Wie genau der Begriff „Zentrum“ sodann zu bestimmen ist, entzieht sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts strikten verfassungsrechtlichen Vorgaben. Denn der Bedeutungsgehalt sei von zahlreichen Faktoren abhängig und einem stetigen Wandel unterworfen. Zudem müsse auf regionale Besonderheiten Rücksicht genommen werden. Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung bestimmte verfassungsrechtliche Mindestanforderungen und Grenzen für die Bestimmung des Begriffs „Zentrum“ normiert.

So drängt sich nach dem BVerfG eine Rückwirkung der Definition des SGB V zum „Medizinischen Versorgungszentrum“ auch auf das allgemeine Begriffsverständnis auf, wonach bereits zwei Ärzte unterschiedlicher Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen ein Medizinisches Versorgungszentrum betreiben können – und zwar ohne eine darüber hinausgehende Größe, Bedeutung oder gar eine Mittelpunktsfunktion ihrer Einrichtung. Zudem kommen neben der Bandbreite der angebotenen Leistungen auch eine besondere Qualität der Leistungen sowie die apparative Ausstattung der Praxisräume zur Begründung einer Zentrumsfunktion in Betracht.

 

Besonderheiten für Zahnärzte
Für den Bereich der Zahnärzte ist darüber hinaus der Erwerb bestimmter Gebietsbezeichnungen zwar einerseits geeignet, um eine besondere Sachkunde des betroffenen Zahnarztes zu belegen, jedoch muss nach Auffassung des BVerfG andererseits beachtet werden, dass die zahnärztlichen Fachgebietsbezeichnungen, anders als die ärztlichen Fachgebietsbezeichnungen, keine gebietseröffnende oder -begrenzende Funktion besitzen. Verglichen mit den ärztlichen Facharztbezeichnungen kommt ihnen daher aus Sicht der Patienten eine geringere Bedeutung zu. Dies bedeutet, dass einzig die Bandbreite zahnärztlicher Fachgebietsbezeichnungen beziehungsweise deren Fehlen kein entscheidendes Kriterium für die tatsächliche Bezeichnung als „Zentrum“ auf dem Gebiet der Zahnärzteschaft darstellt und eine dementsprechende Diversifizierung nicht zwingend notwendig ist.

 

Berücksichtigung regionaler Besonderheiten

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Ein konkreter Vergleichs mit anderen im Gebiet vorhandenen zahnärztlichen Einrichtungen ist für die Größe udn Bedeutsamkeit einer Praxis gefragt. Foto: Peter Smola / pixelio.de

Zuletzt hat das BVerfG auch die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten betont – und zwar in der Form, dass es zum einen darauf ankommt, ob im Bezugsgebiet bereits zahlreiche andere (Zahn-)Ärzte ihre Praxen als Zentrum bezeichnen und dementsprechend den Bedeutungsgehalt im Bezugsgebiet dahingehend prägen, dass weniger strenge Anforderungen an den Begriff zu stellen sind. Zum anderen muss auch der fragliche Bezugspunkt genau bestimmt werden, sodass insbesondere bei der Frage nach einer Mittelpunktsfunktion nicht automatisch auf das gesamte Stadtgebiet einer Zahnarztpraxis abzustellen ist, sondern durchaus die Mittelpunktsfunktion für einen bestimmten Stadtteil ausreichend sein kann. Um die überdurchschnittliche Größe und/oder die Bedeutsamkeit einer solchen Praxis zu bestimmen, bedarf es nach den Ausführungen des BVerfG eines konkreten Vergleichs mit anderen im Gebiet vorhandenen zahnärztlichen Einrichtungen. Ohne einen solchen Vergleich erscheinen dem Bundesverfassungsgericht etwaige Werbeverbote vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit aus Artikel 12 Absatz 1 GG nicht begründbar.

 

Fazit
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass das BVerfG an seiner liberalen Rechtsprechung zum (zahn)ärztlichen Werberecht festhält und insbesondere den Bedeutungswandel des Zentrumsbegriffs explizit auch für den (zahn-)ärztlichen Bereich bestätigt. Pauschale Verbote, wie sie einzelne Berufsordnungen nach wie vor vorsehen, sind demnach unzulässig und bedürfen stets der Einzelfallbetrachtung. Hierbei sind insbesondere regionale Besonderheiten hinsichtlich des Begriffsverständnisses zu berücksichtigen, während sich bei Zahnärzten eine notwendige Verknüpfung mit bestimmten Fachgebietsbezeichnungen verbietet.

(Zahn-)Arztpraxen, die sich als Zentrum bezeichnen möchten, sollten daher darstellen können, dass sie hinsichtlich Größe und Bedeutung über den Durchschnitt gleichartiger Betriebe in ihrem unmittelbaren Einzugsbereich hinaus ragen. Wodurch oder worin sich diese Spitzenstellung begründet, kann mit dem BVerfG durchaus an verschiedene Leistungsmerkmale anknüpfen. Solange dies keine Irreführung der Patienten darstellt, sondern sachangemessene Informationen vermittelt werden, muss eine solche Bezeichnung zulässig sein. Jegliche Art pauschaler berufsrechtlicher Verbote müssen (Zahn-)Ärzte nach der aktuellen Entscheidung des BVerfG jedenfalls nicht mehr fürchten.
RA Dr. Karl-Heinz Schnieder, Münster

 

Unser Autor RA Dr. Karl-Heinz Schnieder

RA Dr. Karl-Heinz Schnieder

RA Dr. Karl-Heinz Schnieder

Rechtsanwalt Dr. Karl-Heinz Schnieder war zwei Jahre lang Referatsleiter Recht bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe und ist seit 16 Jahren niedergelassener Rechtsanwalt und Partner und Mitinhaber der kwm, Kanzlei für Wirtschaft und Medizin, Münster, Berlin, Hamburg und Bielefeld. Er ist Fachanwalt für Medizinrecht sowie für Sozialrecht und ist seit seiner Promotion als Lehrbeauftragter der Universität Münster tätig.

Dr. Schnieder ist unter anderem Mitglied der Netzwerkpartnerschaft Neue Versorgungsstrukturen der Deutschen Apotheker- und Ärztebank sowie Initiator und Gründer der Gesundheitsregionen Münster, Ruhrgebiet, Osnabrück/Emsland, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland und Hamburg, Weser/Ems, Euregio und Brandenburg/BB.

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